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Theodor Althaus

Detmold 1845

©Renate Hupfeld
 

 

In seiner Erzählung "Aus der Einsamkeit" ist dargestellt, wie Theodor Althaus sich und seine Umgebung in Detmold erlebt haben könnte:

"Der klare Himmel eines heißen Mainachmittags ruhte über dem Thal und in der Stadt; die alten Kastanienbäume trugen ihr frisches Grün und die ersten weißröthlichen Blüthen ihm entgegen, und die Promenaden waren belebter als sonst. In der breiten Allee schlenderten die Handwerksburschen truppenweise, und die gesetzten Leute einzeln auf und ab, während manchmal ein zartes Gesicht im Vorübergehen sich mit dem Sonnenschirmchen gegen den allzu kräftigen Tabaksrauch schützte, dessen Wolken, von keiner Polizei verfehmt, hinter jedem Trupp herwehten. Der Deutsche hat seine Pfeife im Mund, um doch einen Grund zum Stillschweigen und eine Beschäftigung am Sonntag Nachmittag zu haben. Die dienenden Schönen genossen das Vergnügen, ein weißes Taschentuch zu tragen und vielleicht gar an der Seite eines geliebten Unteroffiziers zu gehn. Die Kinder rupften Blumen und Gras am Wege ab, und weiterhin in den Wiesen zerstreuten sich einzelne Familien, die im Schweiße ihres Angesichts irgendein Wirtshausvergnügen genießen wollten. Kurz, zu dem Spaziergang aus Faust fehlte weiter nichts als der Fluß, die grauen Thore und die süddeutsche Lebendigkeit der Menschen, aus deren Fülle unser Dichter sein reizendes Bild empfangen und geschaffen hat. Goethe zeitlebens in eine norddeutsche kleine Spießbürgerwelt verbannt - was wäre aus ihm geworden! Sein Glück ist von ihm nicht zu trennen.
Sein größtes Gedicht hat er aber so echt aus dem deutschen Wesen und so tief wieder in die deutschen Gemüther gesungen, daß auch in diesen kleinen Welten wohl überall neben dem großen Haufen und den gelehrten und ungelehrten Wagner=Naturen irgend Einer geht, der das schmerzliche Denken und Grübeln auch in dieser friedlichen Umgebung nicht lassen kann. So ging denn auch an diesem Nachmittag ein junger Mann vor der Stadt spazieren, von dem einige gebildete Damen versichert hatten, daß er erschrecklich viel studire, wenig mit Menschen umgehe und überhaupt etwas vom Faust habe; man brauche nur sein düstres Gesicht anzusehen. Ihm selbst waren solche Vergleichungen, die ihm wohl einmal hinterbracht waren, in der Seele zuwider, und wenn er je einen aristokratischen Wunsch gehabt hatte, so war es der: daß kein Mensch die großen Gedanken kennen möchte, der sie nicht groß auffassen könne und nicht von ihnen zu schweigen verstehe. Unser äußres Leben (sagte er zu sich), und die Welt, in die die Meisten eingesperrt sind, ist so bedeutungslos und leer von Poesie, daß wir uns doch mit aller edelsten Anstrengung das innere Leben frisch bewahren und seine Blüthen nicht durch Antasten verderben und auf die staubige Landstraße einer Jedermannunterhaltung bringen sollten. Wenn die hohen Gedanken erst zu Redensarten werden,  dann ist das eigentliche Mark des Lebens zerfressen. Darum bis wir einmal - Gott weiß wie - ein gesundes Leben lebendig gemacht und uns von unsrer häßlichen Kritiksucht geheilt haben, ists besser, wenn jeder, der alles fühlt und in sich hat, ein Doppelleben führt, und den einen eremitischen Menschen wenigstens zum Leben rettet, durch die Poesie,  wenn auch der andre todt ist durch Schreibstuben, Salons und die leidige Arbeit um's liebe Brot. Wenn das Herz nur frisch und jung ist, um den Geist wollen wir Deutschen nachher nicht in Noth sein. Aber wenn wir erst da inwendig abgestumpft sind und das Blut matt geworden ist - dann mag der Geist auf Stoppeln weiden und wird ebenso elend verkrüppeln, wie er jetzt unnatürlich über Leben und Fühlen herausgewachsen ist. - Nur Muth, du hast doch noch dein Herz und deine Poesie.
So vernünftig würde Rudolf ohne Zweifel seine Zornrede gegen die schlechte Welt geschlossen haben, wenn etwa ein frischer Gewitterregen vom jungen Laub getropft wäre, und jene wunderbarste aller Beleuchtungen, Sonnenstrahlen auf feuchtes Frühlingsgrün und dunkle Wolken darüber, diese Welt verklärt hätte. Da es nun aber auf dem Feldwege heiß und staubig war, so hatten seine Gedanken einen mißmutigen und schlaffen Flug genommen. Denn wer kennt nicht die leise und unwiderstehliche Gewalt, mit der die Atmosphäre uns oft in eine ihr irgendwie ähnliche Gedankensphäre bannt! Nachdem wir dem Himmel über uns so manche Engel und Seraphim und endlich alle Heerscharen genommen haben, räumen wir seinen Wolken und seinen großen und kleinen Lichtern diese Macht bereitwillig ein und zucken in schlechten Monaten die Achseln, wenn einer vom freien Willen redet.
Meine Poesie! .. dachte unser Freund. Wenn ich auch nur wüßte, was sie wäre! Himmelstocher, leichte Göttin, Lichtgestalt, goldner Kindheitstraum - o ja, sehr schön gesagt, und wir haben uns so übernommen an solchen Redensarten, daß wir zuletzt nicht mehr wissen, ob wir ein solches Bild wirklich gedacht und geträumt, oder bloß gesehen haben. Was hilft es mir, wenn ich den Nerv  e r k e n n e , der sich mit dem Fleisch und Blut unsres Empfindens überkleidet, so daß es am Ende ein Gedicht heißt - besser ich wüßte nichts davon, aber er wäre Nerv von meinem Nerv, und zuckte und risse durch den ganzen Menschen vom Wirbel bis zur Zehe. Ich weiß, sie lügen nicht, wenn sei von ihrem Schmerz singen, aber das Gefühl, wirklich und wahrhaft Etwas zu sein und zu vermögen, müßte doch allen Schmerz in die Luft sprengen, sobald er sich festsetzen wollte. Und sollte das Gefühl auch so hübsch allmählich und stufenweise sich entwickeln? ach am Ende bringen sie uns ihre Politik und den besonnenen Fortschritt noch in die Poesie. Aber es ist nur gut, daß der Mensch weder ein ständisches noch ein constitutionelles Geschöpf ist. Das Gefühl, daß man Etwas ist, muß über uns stürzen, da´ß wir vor uns selbst erschrecken - und das darf nicht zu lang warten lassen, und ich denke, mein armer Junge, für dich wird's zu spät sein! -
Rudolf war aber noch jung genug, um diese trübseligen Gedanken zu einer gewissen Gemüthlichkeit auszuspinnen, als er unter den wohlthuenden Schatten der alten Kastanien kam und an den spielenden Kindern vorüberging. Er verspottete sich, daß er etwas anderes zu sein gedacht hätte, als die Vornehmen und Geringen aus dem Stamm der Philister, denen er begegnete, und bald hatte er sich ganz in ein solches Leben hereinphantasirt, wo er sich am Ende gar schon mit Weib und Kind die Freuden und Leiden des siebenten Tages in der freien Natur genießen sah. Ihm wurde so humoristisch dabei zu Muthe, daß er eine ganze Strecke neben einem Trupp seiner künftigen Genossen langsam hinschlenderte, und die, welche sonst gewohnt waren, seine lange Gestalt mit tiefernstem Gesicht vorüberschießen zu sehn, blickten ihn ganz verwundert an. Er grüßte alle Menschen, die er nicht kannte, und lachte jedem Kinde zu; da er aber vollends von einem dieser blauäugigen und blondhaarigen Geschöpfchen einen sonnigen Blick und ein Lächeln zum Dank erhielt, mußte er sich doch sagen, daß das Leben in Wahrheit noch erträglich sei, so lang noch Kinder geboren werden, die nichts wissen und thun und sind - aber sie lächeln. So ging er weiter unter den Kastanien hin. -
Seid ihr schon einmal in eine Stadt gekommen, die eigentlich nicht hat, was man Thore nennt? in der ihr nur eine oder zwei neue Straßen, und im Uebrigen bescheidne Häuser, unbedeutende Kirchen, und höchstens ein alterthümliches Rathhaus fandet, vor dem ein Waschbrunnen plätschert? Die Straßen sind weder öde noch menschenbelebt; an irgend einer Ecke steht ein Wachthaus, ein Landeskind in Uniform wandelt gemächlich auf und ab, und ein paar Kameraden mit langen Pfeifen sitzen auf dem Bänkchen. Plötzlich horcht die Schildwacht .. die Kameraden springen in die Wachtstube, setzen die Pfeifen hin und nehmen die Gewehre, ein kräftiges Rrraus! erdröhnt, ein Wagen rasselt heran, der Feldwebel schreit; Präsentirt's Gewehr! und der Landesvater, der spazieren gefahren ist, rollt vorüber und nickt mit bekannter Leutseligkeit. Habt ihr das alles schon einmal mit angesehn? Dann wart ihr in irgend einer kleinen deutschen Residenz am Sonntag Nachmittag.
Und wie wenig deutsche Residenzen sind so klein, daß sie nicht einmal ein Theater hätten! Die dramatischen Heilande rümpfen zwar die Nase darüber und seufzen nach einer Nationalbühne. Aber wenn wir auch kein deutsches Theater haben, und wenn die Hofbühnen uns auch mit ihren Privilegien die Kunst ein wenig zu Grunde gerichtet haben - schelten wir sie darum jetzt nicht! So lange wir an wichtigere Sachen zu denken haben, als an den Flor dieser Nationalblüthe, können wir uns human freuen, daß durch jene Zersplitterung so manches Lustsplitterchen und so mancher bescheidne Freudenstrahl verstreut wird! Heute schien alles von nah und fern zusammengeströmt, aus dem Lande und aus den angrenzenden Reichen. Vor den Hotels standen Wagenreihen die ganze Straße herab, und in der Nähe des Theaters begegnete Rudolf fast bei jedem Schritt irgend einem Wesen, in dessen Gesicht, Haltung und Toilette die "Provinz" unwiderleglich zu erkennen war..." (Mährchen S. 201-210)

In dem Bestreben sich in die Entwicklungen seiner Zeit einzumischen, beschäftigte sich Theodor  intensiv mit religiösen Themen, die zur Zeit allgemein diskutiert wurden. Da gab es in Detmold seit 1843 den Gustav Adolph Verein, der sich mit Fragen des Protestantismus und deren Umsetzung beschäftigte. Theodor und sein Vater engagierten sich mit Vorträgen, Theodor außerdem noch mit Publikationen. Seine Artikel wurden in der Bremer Weserzeitung gedruckt.

"Er fand dort ein Forum, auf dem er mit verhältnismäßiger Freiheit reden und kritisiren, das Anstreben verhältnißmäßig nahe liegender Ziele fördern konnte: Lehrfreiheit, Gemeindefreiheit, Erweiterung der dem kirchlichen Leben gesetzten Schranken, Aussöhnung des religiösen Bewußtseins mit der historischen Kritik und der philosophischen Bildung." (Lebensbild S. 110)

Zu einer weiteren öffentlichen Diskussion konnte Theodor nicht schweigen. Es handelte sich um Meinungen zu dem so genannten "Heidelberger Katechismus" aus dem 16. Jahrhundert, der in Lippe unter der Regierung der aufgeklärten Fürstin Pauline von Friedrich Althaus Vorgänger, dem Generalsuperindentenden Weerth neu bearbeitet worden und durch einen der Zeit angemessenen Katechismus ersetzt worden war. Es gab Stimmen, die den Weerthschen Katechismus abschaffen und den Heidelberger Katechismus wieder einführen wollten, was für viele einen unerträglichen Rückschritt bedeutet hätte.

"Obgleich daher ihre Forderungen der obersten Kirchenbehörde des Fürstenthums zurückgewiesen wurden, schien es nach einiger Zeit doch wünschenswerth, ihnen offen entgegenzutreten, ihre Ansprüche einer unumwundenen Kritik zu unterwerfen. Theodor übernahm diese Aufgabe und löste sie glänzend und mühelos in einer Broschüre, die unter dem Titel 'Der Heidelberger Katechismus und die kirchlichen Kämpfe im Fürstenthum Lippe' im April 1845 bei dem Verleger der Weserzeitung erschien." (Lebensbild S. 112)

Diese Veröffentlichung erfolgte zwar anonym, man ahnte jedoch, dass Theodor der Verfasser war und es gab entsprechende Reaktionen in Form von Gegendarstellungen und Anfeindungen.

Im Mai machte Theodor zusammen mit seiner Mutter einen längeren Besuch bei Großvater Dräseke in Potsdam. Während dieser Zeit führte er ein Tagebuch, in dem er sehr ausführlich seine Gedanken zu philosophisch-religiösen Fragen aufschrieb. Hier einige Auszüge:

"Mag der eine Christus alle Wahrheit aus dem göttlichen Quell geschöpft haben - so hat er sie doch nicht mitgetheilt. Laß sie ihn mitgetheilt haben, obwohl er im Johannes ein tiefes Wort der Unvollständigkeit darüber spricht - so ist er es doch nicht, sondern das, was er sagt, so kann und soll doch seine Person nicht Gott gleich sein, sondern es bleibt die Idee. Zumal wenn diese Person eigentlich in ihrem tiefsten Wesen nur durch phantastisch poetische Combination erkannt werden kann. Ich glaube doch nicht, weil er es sagt, sondern weil ich glaube. Weil er  e i n e  Wahrheit sagt,  glaube ich doch nicht, daß er sie alle hat. Laß ihn ohne Sünde gewesen sein, so hilft er mir doch nur im Gedanken. Sein Beispiel ist Ermunterung, Erregung zur Erkenntniß und zum ewigen Heil - aber keine Vergebung. Sein Opfer hilft mir. Es ist nichts Persönliches, es ist nur von Geist zu Geist. Und wäre er Alles gewesen, was geht es mich an?" (Lebensbild S. 113/114)

"Christus! Das ist Name, Vehikel, Erkennungszeichen, das nicht auf der Studirstube ausgestrichen werden kann. So wenig wir sonst das Leben gestaltenlos und abstract machen wollen, so sehr wollen wir auch seine Persönlichkeit festhalten und uns ihm an die Brust werfen, aber wenn auch aufgelöst in Liebe und Verehrung, wie wir sie keinen Andern zollen, dennoch bewußt der Grenzen, die jede Persönlichkeit hat. Der Mensch vergeht, die Menschheit ist ewig, die Person vergeht, der Gedanke lebt fort - die Person ist unendlich. Mögen wir nicht anders können, als ihn göttlich nennen, so ist damit nur der Grundzug seines Wesens gezeichnet; aber über sein Irren oder seine Unfehlbarkeit soll und kann damit unserer Vernunft keine absolute Grenze gesteckt sein. Das neutestamentaliche, orthodoxe Christenthum, Anklänge fremder Art abgerechnet, ist aber absolut, will es sein. Das scheidet uns auf ewig von ihm." (Lebensbild S. 114)

"...Ob selbst der absolut Orthodoxe den zweifelnden Satan allezeit von sich fern halten kann? ob er niemals mit Todesangst einen kleinen Riß in seinem Gebäude merkt und ihn mit Blitzesschnelle der Vorstellung weiter klaffen und reißen und zur ewigen Kluft spalten sieht und nur Trümmer erblickt, über denen der Greuel, der im Menschenherzen, ja im eigenen, geschlafen hatte, höhnend wegbraust? Ich glaube, so gut wie Luter mit dem Dintenfaß nach dem Teufel warf, müssen alle starken männlichen Seelen in diesen schlimmen Zeiten auch dergleichen durchmachen." (Lebensbild S. 114/115)

"G o t t  i s t  d i e  L i e b e  und nach ihr sollen wir streben, wie geschrieben steht, von ganzem Herzen. Wir fügen hinzu: G o t t  i s t  d i e  F r e i h e i t.  Daran arbeitet unsere Zeit, in den ersten Satz den zweiten aufzunehmen, in ihrem Spiel die ewige Westbewegung zu erfassen und in allen Verhältnissen ihre wahre Mischung zu finden." (Lebensbild S. 115/116)

Theodor stellt sich gegen das zu seiner Zeit praktizierte so genannte orthodoxe Christentum, dessen Lehren der Mensch nicht zu hinterfragen hat. Ihm geht es um die Wahrheit, die er aber nur finden kann, wenn die Lehren hinterfragt werden dürfen. Mit diesen Gedanken stellt er sich gegen das System, in dem sein Vater eine übergeordnete Stellung als Superintendent innehatte und in dem Anstellungen als Theologe vergeben wurden. Er nimmt in Kauf, dass seine beruflichen Chancen in dem Bereich damit gleich Null waren. Die wichtigsten Begriffe für ihn waren  L i e b e  und  F r e i h e i t.  Nur vor dem Hintergrund dieser beiden Werte könnte man seiner Meinung nach zur Wahrheit finden. Dabei ging es ihm nicht nur um Religion. Seine Gedanken wurden zunehmend politisch. Er schreibt weiter über seine Visionen:

"...Das Unglück derer, die hungern und verdumpfen, wird nicht mehr als nothwendiges Übel angesehen werden - aber träumt nicht zu hoch und zu selig! So lang es Herzen gibt, werden sie brechen, so lange es Genies giebt, werden sie verkannt werden, so lange die Todten nicht auferstehen, werden wir vor dem Leben stehen wie vor einem Räthsel und so lange wir vor dem Leben stehen wie vor einem Räthsel und so lange Liebe ist, wird sie selbstsüchtig im Gemüth der zwei Glücklichen sein und Andere werden seufzen." (Lebensbild S. 119)

Bei allem Idealismus hatte Theodor Althaus doch auch Träume. So äußert er in seinem Tagebuch den Wunsch nach einer soliden Lebensbasis, wenn er schreibt:

"Drei Dinge wünsch' ich mir auf dieser Erde; Gesundheit, ein bequemes Studirzimmer und allezeit etwas Tüchtiges mit mäßiger Freiheit zu arbeiten." (Lebensbild S. 119)

Dennoch fährt er fort, ohne Rücksicht auf sein berufliches Fortkommen und seine Familie in einer Umgebung, in der kritische Gedanken nicht gefragt sind, ja gefährlich werden können, die gesellschaftlichen Strukturen und Gepflogenheiten offen und für jeden zugänglich zu kritisieren. Als er in der Sonntagszeitung der Bremer Weserzeitung vom 13. Juli 1845 einen kritischen Artikel über das große Volksfest zur Feier der 25-jährigen Amtszeit des Fürsten Leopold II veröffentlicht, begibt er sich in der Detmolder Gesellschaft vollends in die Außenseiterposition.  In dem Artikel bezeichnet er die pompösen Festlichkeiten als pure Heuchelei. Es heißt es unter anderem:

"...Die Kluft von denen, welche in der Reitbahn vier Stunden tafeln , und denen, welche ihr ganzes Mittagessen in einem Topfe kochen, ist so groß, daß man wohl thäte, sie beizeiten mit Liebe und brüderlichem Sinn auszufüllen;..." (Lippe 1848 S. 98)

An einer anderen Stelle schreibt er:

"...ich habe von vielen fröhlichen Menschengesichtern gesprochen...Aber ich müßte mich schämen, wenn meine Augen auch am festlichen Tage geschlossen gewesen wären für die Lumpen, für die abgerissenen Alten und für die jammervollen Kinder, die auf dem Arm abgezehrter Mütter hier und da in die Häuser kamen, wo sie an diesem Tage mehr milde Hände als sonst zu finden gedachten..."  (Lippe 1848 S. 98)

Derartig klar formulierte öffentlich geäußerte Kritik war man in der beschaulichen  lippischen Residenz nicht gewöhnt. Theodor Althaus erntete nicht nur Kopfschütteln, sondern musste Sanktionen in Form von gesellschaftlicher Diskriminierung und Verbot der Nutzung der Räume der Detmolder Ressource, dem wichtigsten gesellschaftlichen Treffpunkt für alle Schichten der Gesellschaft, in Kauf nehmen. Nun hatte er sich nicht nur in den theologischen, sondern auch in den gesellschaftlichen Bereichen sozusagen selbst disqualifiziert.

Es ist anzunehmen, dass sein Glaube an eine unausweichliche Veränderung der politischen Strukturen so stark war, dass er alle diese Nachteile in Kauf nahm. Theodor glaubte an eine bessere Welt und hatte den dringenden Wunsch, alles ihm Mögliche zu tun, um dazu beizutragen. Da ihm nun der Lesesaal der Ressource und somit eine wichtige Informationsquelle verschlossen war, gründete er zusammen mit Carl Volkhausen einen Leseverein, der gesellschaftskritische Presse und Veröffentlichungen in Detmold und den umliegenden Orten verbreitete und dessen Arbeit gute Resonanz fand.

In diesen schwierigen Zeiten fand er ungeteilten Rückhalt im Elternhaus. Vor allem seine Mutter liebte ihn vorbehaltlos und seine jüngere Schwester Elisabeth verehrte ihn. Ebenfalls fand er Bestätigung und Trost in Gesprächen und im Briefkontakt mit Malwida von Meysenbug, der er ja bereits ein Jahr zuvor zwei Gedichtzyklen gewidmet hatte. Obwohl Malwida durch die Verbindung zu ihm in Familie und Gesellschaft ins Abseits geriet, hielt sie treu zu ihm.

Erwähnenswert für dieses Detmolder Jahr ist noch die von seinem Bruder Friedrich Althaus erwähnte Predigt am Morgen seines 23. Geburtstages, dem 26. Oktober 1845, in der Detmolder Frühkirche.

"Er wählte als Text den Spruch von der Wahrheit, die frei macht...Die frei machende Wahrheit definirte er als die Erkenntniß der Einheit des Menschen mit Gott. Diese Erkenntniß, nach seinem Dafürhalten der wahre Kern der christlichen Lehre, hatte aber seiner Meinung nach nur dann Werth, wenn sie als allumfassendes Princip anerkannt wurde, nicht bloß den Einzelnen befreite, sondern in jeder menschlichen Gemeinschaft, im Staat wie in der Kirche, die Verwirklichung des Reiches Gottes, d.h. des Reiches wahrer Menschlichkeit forderte. Ueber den unendlichen Abstand der thatsächlichen bestehenden Welt von diesem Ziele täuschte er sich nicht..." (Lebensbild S. 121)

 

 

 
     
 

Biografie ist als Taschenbuch erschienen...

Texte von Theodor Althaus beim Aisthesis Verlag Bielefeld:

AlthausLesebuchAisthesis2010.htm

www.aisthesis.de

 
 

 

 

 

Wer war Theodor Althaus?

1822-1840: Kindheit und Jugend in Detmold

1840-1843: Studium in Bonn, Jena, Bonn, Berlin

1843, 1844, 1845: Jahre im Detmolder Elternhaus

1846: Zukunft des Christenthums, Harzreise, Rheinfahrt im August

1847: Detmold, Leipzig

1848: Revolutionsjahr

1849: Im Gefängnis

1850: Aus dem Gefängnis

1851: Freiheit?

1852: Letzte Monate

 

 

 

Texte von Theodor Althaus:

Theodor Althaus, Der Heidelberger Katechismus und die kirchlichen Kämpfe im Fürstenthum Lippe, Bremen 1845
Theodor Althaus, Eine Rheinfahrt im August, Bremen 1846
Theodor Althaus: Die Zukunft des Christentums, Darmstadt 1847
Theodor Althaus, Mährchen aus der Gegenwart, Leipzig 1848
Theodor Althaus, Aus dem Gefängniß Deutsche Erinnerungen und Ideale, Bremen 1850
Theodor Althaus, Zeitbilder 1840 - 1850, Hg. von Renate Hupfeld, Aisthesis Verlag Bielefeld 2010

Veröffentlichungen über Theodor Althaus:

Friedrich Althaus, Theodor Althaus. Ein Lebensbild, Bonn 1888
Malwida von Meysenbug, Memoiren einer Idealistin, Erster Band, Volksausgabe,  Schuster & Löffler, Berlin und Leipzig 
Dora Wegele, Theodor Althaus und Malwida von Meysenbug, Zwei Gestalten des Vormärz, Marburg/Lahn 1927
Annegret Tegtmeier-Breit, Theodor Althaus, Enfant terrible der Detmolder Gesellschaft in: Lippe 1848, Von der demokratischen Manier eine Bittschrift zu überreichen, Lippesche Landesbibliothek Detmold 1998

 

 

 

 

Text und Fotos:

©Renate Hupfeld

Letztes Update:

27.05.2010

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