Theodor Althaus
Detmold 1845
©Renate
Hupfeld
In seiner Erzählung "Aus der Einsamkeit" ist dargestellt, wie Theodor Althaus sich und seine Umgebung in Detmold erlebt haben könnte: "Der klare Himmel eines
heißen Mainachmittags ruhte über dem Thal und in der Stadt; die alten
Kastanienbäume trugen ihr frisches Grün und die ersten weißröthlichen Blüthen
ihm entgegen, und die Promenaden waren belebter als sonst. In der breiten Allee
schlenderten die Handwerksburschen truppenweise, und die gesetzten Leute einzeln
auf und ab, während manchmal ein zartes Gesicht im Vorübergehen sich mit dem
Sonnenschirmchen gegen den allzu kräftigen Tabaksrauch schützte, dessen Wolken,
von keiner Polizei verfehmt, hinter jedem Trupp herwehten. Der Deutsche hat
seine Pfeife im Mund, um doch einen Grund zum Stillschweigen und eine
Beschäftigung am Sonntag Nachmittag zu haben. Die dienenden Schönen genossen das
Vergnügen, ein weißes Taschentuch zu tragen und vielleicht gar an der Seite
eines geliebten Unteroffiziers zu gehn. Die Kinder rupften Blumen und Gras am
Wege ab, und weiterhin in den Wiesen zerstreuten sich einzelne Familien, die im
Schweiße ihres Angesichts irgendein Wirtshausvergnügen genießen wollten. Kurz,
zu dem Spaziergang aus Faust fehlte weiter nichts als der Fluß, die grauen Thore
und die süddeutsche Lebendigkeit der Menschen, aus deren Fülle unser Dichter
sein reizendes Bild empfangen und geschaffen hat. Goethe zeitlebens in eine
norddeutsche kleine Spießbürgerwelt verbannt - was wäre aus ihm geworden! Sein
Glück ist von ihm nicht zu trennen. In dem Bestreben sich in die Entwicklungen seiner Zeit einzumischen, beschäftigte sich Theodor intensiv mit religiösen Themen, die zur Zeit allgemein diskutiert wurden. Da gab es in Detmold seit 1843 den Gustav Adolph Verein, der sich mit Fragen des Protestantismus und deren Umsetzung beschäftigte. Theodor und sein Vater engagierten sich mit Vorträgen, Theodor außerdem noch mit Publikationen. Seine Artikel wurden in der Bremer Weserzeitung gedruckt. "Er fand dort ein Forum, auf dem er mit verhältnismäßiger Freiheit reden und kritisiren, das Anstreben verhältnißmäßig nahe liegender Ziele fördern konnte: Lehrfreiheit, Gemeindefreiheit, Erweiterung der dem kirchlichen Leben gesetzten Schranken, Aussöhnung des religiösen Bewußtseins mit der historischen Kritik und der philosophischen Bildung." (Lebensbild S. 110) Zu einer weiteren öffentlichen Diskussion konnte Theodor nicht schweigen. Es handelte sich um Meinungen zu dem so genannten "Heidelberger Katechismus" aus dem 16. Jahrhundert, der in Lippe unter der Regierung der aufgeklärten Fürstin Pauline von Friedrich Althaus Vorgänger, dem Generalsuperindentenden Weerth neu bearbeitet worden und durch einen der Zeit angemessenen Katechismus ersetzt worden war. Es gab Stimmen, die den Weerthschen Katechismus abschaffen und den Heidelberger Katechismus wieder einführen wollten, was für viele einen unerträglichen Rückschritt bedeutet hätte. "Obgleich daher ihre Forderungen der obersten Kirchenbehörde des Fürstenthums zurückgewiesen wurden, schien es nach einiger Zeit doch wünschenswerth, ihnen offen entgegenzutreten, ihre Ansprüche einer unumwundenen Kritik zu unterwerfen. Theodor übernahm diese Aufgabe und löste sie glänzend und mühelos in einer Broschüre, die unter dem Titel 'Der Heidelberger Katechismus und die kirchlichen Kämpfe im Fürstenthum Lippe' im April 1845 bei dem Verleger der Weserzeitung erschien." (Lebensbild S. 112) Diese Veröffentlichung erfolgte zwar anonym, man ahnte jedoch, dass Theodor der Verfasser war und es gab entsprechende Reaktionen in Form von Gegendarstellungen und Anfeindungen. Im Mai machte Theodor zusammen mit seiner Mutter einen längeren Besuch bei Großvater Dräseke in Potsdam. Während dieser Zeit führte er ein Tagebuch, in dem er sehr ausführlich seine Gedanken zu philosophisch-religiösen Fragen aufschrieb. Hier einige Auszüge: "Mag der eine Christus alle Wahrheit aus dem göttlichen Quell geschöpft haben - so hat er sie doch nicht mitgetheilt. Laß sie ihn mitgetheilt haben, obwohl er im Johannes ein tiefes Wort der Unvollständigkeit darüber spricht - so ist er es doch nicht, sondern das, was er sagt, so kann und soll doch seine Person nicht Gott gleich sein, sondern es bleibt die Idee. Zumal wenn diese Person eigentlich in ihrem tiefsten Wesen nur durch phantastisch poetische Combination erkannt werden kann. Ich glaube doch nicht, weil er es sagt, sondern weil ich glaube. Weil er e i n e Wahrheit sagt, glaube ich doch nicht, daß er sie alle hat. Laß ihn ohne Sünde gewesen sein, so hilft er mir doch nur im Gedanken. Sein Beispiel ist Ermunterung, Erregung zur Erkenntniß und zum ewigen Heil - aber keine Vergebung. Sein Opfer hilft mir. Es ist nichts Persönliches, es ist nur von Geist zu Geist. Und wäre er Alles gewesen, was geht es mich an?" (Lebensbild S. 113/114) "Christus! Das ist Name, Vehikel, Erkennungszeichen, das nicht auf der Studirstube ausgestrichen werden kann. So wenig wir sonst das Leben gestaltenlos und abstract machen wollen, so sehr wollen wir auch seine Persönlichkeit festhalten und uns ihm an die Brust werfen, aber wenn auch aufgelöst in Liebe und Verehrung, wie wir sie keinen Andern zollen, dennoch bewußt der Grenzen, die jede Persönlichkeit hat. Der Mensch vergeht, die Menschheit ist ewig, die Person vergeht, der Gedanke lebt fort - die Person ist unendlich. Mögen wir nicht anders können, als ihn göttlich nennen, so ist damit nur der Grundzug seines Wesens gezeichnet; aber über sein Irren oder seine Unfehlbarkeit soll und kann damit unserer Vernunft keine absolute Grenze gesteckt sein. Das neutestamentaliche, orthodoxe Christenthum, Anklänge fremder Art abgerechnet, ist aber absolut, will es sein. Das scheidet uns auf ewig von ihm." (Lebensbild S. 114) "...Ob selbst der absolut Orthodoxe den zweifelnden Satan allezeit von sich fern halten kann? ob er niemals mit Todesangst einen kleinen Riß in seinem Gebäude merkt und ihn mit Blitzesschnelle der Vorstellung weiter klaffen und reißen und zur ewigen Kluft spalten sieht und nur Trümmer erblickt, über denen der Greuel, der im Menschenherzen, ja im eigenen, geschlafen hatte, höhnend wegbraust? Ich glaube, so gut wie Luter mit dem Dintenfaß nach dem Teufel warf, müssen alle starken männlichen Seelen in diesen schlimmen Zeiten auch dergleichen durchmachen." (Lebensbild S. 114/115) "G o t t i s t d i e L i e b e und nach ihr sollen wir streben, wie geschrieben steht, von ganzem Herzen. Wir fügen hinzu: G o t t i s t d i e F r e i h e i t. Daran arbeitet unsere Zeit, in den ersten Satz den zweiten aufzunehmen, in ihrem Spiel die ewige Westbewegung zu erfassen und in allen Verhältnissen ihre wahre Mischung zu finden." (Lebensbild S. 115/116) Theodor stellt sich gegen das zu seiner Zeit praktizierte so genannte orthodoxe Christentum, dessen Lehren der Mensch nicht zu hinterfragen hat. Ihm geht es um die Wahrheit, die er aber nur finden kann, wenn die Lehren hinterfragt werden dürfen. Mit diesen Gedanken stellt er sich gegen das System, in dem sein Vater eine übergeordnete Stellung als Superintendent innehatte und in dem Anstellungen als Theologe vergeben wurden. Er nimmt in Kauf, dass seine beruflichen Chancen in dem Bereich damit gleich Null waren. Die wichtigsten Begriffe für ihn waren L i e b e und F r e i h e i t. Nur vor dem Hintergrund dieser beiden Werte könnte man seiner Meinung nach zur Wahrheit finden. Dabei ging es ihm nicht nur um Religion. Seine Gedanken wurden zunehmend politisch. Er schreibt weiter über seine Visionen: "...Das Unglück derer, die hungern und verdumpfen, wird nicht mehr als nothwendiges Übel angesehen werden - aber träumt nicht zu hoch und zu selig! So lang es Herzen gibt, werden sie brechen, so lange es Genies giebt, werden sie verkannt werden, so lange die Todten nicht auferstehen, werden wir vor dem Leben stehen wie vor einem Räthsel und so lange wir vor dem Leben stehen wie vor einem Räthsel und so lange Liebe ist, wird sie selbstsüchtig im Gemüth der zwei Glücklichen sein und Andere werden seufzen." (Lebensbild S. 119) Bei allem Idealismus hatte Theodor Althaus doch auch Träume. So äußert er in seinem Tagebuch den Wunsch nach einer soliden Lebensbasis, wenn er schreibt: "Drei Dinge wünsch' ich mir auf dieser Erde; Gesundheit, ein bequemes Studirzimmer und allezeit etwas Tüchtiges mit mäßiger Freiheit zu arbeiten." (Lebensbild S. 119) Dennoch fährt er fort, ohne Rücksicht auf sein berufliches Fortkommen und seine Familie in einer Umgebung, in der kritische Gedanken nicht gefragt sind, ja gefährlich werden können, die gesellschaftlichen Strukturen und Gepflogenheiten offen und für jeden zugänglich zu kritisieren. Als er in der Sonntagszeitung der Bremer Weserzeitung vom 13. Juli 1845 einen kritischen Artikel über das große Volksfest zur Feier der 25-jährigen Amtszeit des Fürsten Leopold II veröffentlicht, begibt er sich in der Detmolder Gesellschaft vollends in die Außenseiterposition. In dem Artikel bezeichnet er die pompösen Festlichkeiten als pure Heuchelei. Es heißt es unter anderem: "...Die Kluft von denen, welche in der Reitbahn vier Stunden tafeln , und denen, welche ihr ganzes Mittagessen in einem Topfe kochen, ist so groß, daß man wohl thäte, sie beizeiten mit Liebe und brüderlichem Sinn auszufüllen;..." (Lippe 1848 S. 98) An einer anderen Stelle schreibt er: "...ich habe von vielen fröhlichen Menschengesichtern gesprochen...Aber ich müßte mich schämen, wenn meine Augen auch am festlichen Tage geschlossen gewesen wären für die Lumpen, für die abgerissenen Alten und für die jammervollen Kinder, die auf dem Arm abgezehrter Mütter hier und da in die Häuser kamen, wo sie an diesem Tage mehr milde Hände als sonst zu finden gedachten..." (Lippe 1848 S. 98) Derartig klar formulierte öffentlich geäußerte Kritik war man in der beschaulichen lippischen Residenz nicht gewöhnt. Theodor Althaus erntete nicht nur Kopfschütteln, sondern musste Sanktionen in Form von gesellschaftlicher Diskriminierung und Verbot der Nutzung der Räume der Detmolder Ressource, dem wichtigsten gesellschaftlichen Treffpunkt für alle Schichten der Gesellschaft, in Kauf nehmen. Nun hatte er sich nicht nur in den theologischen, sondern auch in den gesellschaftlichen Bereichen sozusagen selbst disqualifiziert. Es ist anzunehmen, dass sein Glaube an eine unausweichliche Veränderung der politischen Strukturen so stark war, dass er alle diese Nachteile in Kauf nahm. Theodor glaubte an eine bessere Welt und hatte den dringenden Wunsch, alles ihm Mögliche zu tun, um dazu beizutragen. Da ihm nun der Lesesaal der Ressource und somit eine wichtige Informationsquelle verschlossen war, gründete er zusammen mit Carl Volkhausen einen Leseverein, der gesellschaftskritische Presse und Veröffentlichungen in Detmold und den umliegenden Orten verbreitete und dessen Arbeit gute Resonanz fand. In diesen schwierigen Zeiten fand er ungeteilten Rückhalt im Elternhaus. Vor allem seine Mutter liebte ihn vorbehaltlos und seine jüngere Schwester Elisabeth verehrte ihn. Ebenfalls fand er Bestätigung und Trost in Gesprächen und im Briefkontakt mit Malwida von Meysenbug, der er ja bereits ein Jahr zuvor zwei Gedichtzyklen gewidmet hatte. Obwohl Malwida durch die Verbindung zu ihm in Familie und Gesellschaft ins Abseits geriet, hielt sie treu zu ihm. Erwähnenswert für dieses Detmolder Jahr ist noch die von seinem Bruder Friedrich Althaus erwähnte Predigt am Morgen seines 23. Geburtstages, dem 26. Oktober 1845, in der Detmolder Frühkirche. "Er wählte als Text den Spruch von der Wahrheit, die frei macht...Die frei machende Wahrheit definirte er als die Erkenntniß der Einheit des Menschen mit Gott. Diese Erkenntniß, nach seinem Dafürhalten der wahre Kern der christlichen Lehre, hatte aber seiner Meinung nach nur dann Werth, wenn sie als allumfassendes Princip anerkannt wurde, nicht bloß den Einzelnen befreite, sondern in jeder menschlichen Gemeinschaft, im Staat wie in der Kirche, die Verwirklichung des Reiches Gottes, d.h. des Reiches wahrer Menschlichkeit forderte. Ueber den unendlichen Abstand der thatsächlichen bestehenden Welt von diesem Ziele täuschte er sich nicht..." (Lebensbild S. 121)
|
||
Biografie ist als Taschenbuch erschienen... Texte von Theodor Althaus beim Aisthesis Verlag Bielefeld: |
1822-1840: Kindheit und Jugend in Detmold
1840-1843: Studium in Bonn, Jena, Bonn, Berlin
1843, 1844, 1845: Jahre im Detmolder Elternhaus
1846: Zukunft des Christenthums, Harzreise, Rheinfahrt im August
Texte von Theodor Althaus: Theodor
Althaus, Der Heidelberger Katechismus und die kirchlichen Kämpfe im Fürstenthum
Lippe, Bremen 1845
|
Text und Fotos:
©Renate Hupfeld
Letztes Update:
27.05.2010
Seitenanfang