Theodor Althaus 1850
©Renate
Hupfeld
Aus dem Gefängnis Es war eine wahrlich schwere Zeit für Theodor Althaus. Menschen, die ihn liebten, hatte er verloren, vor allem seine Mutter, deren Grab er zum Jahrestag nicht einmal besuchen konnte. Dann die bange Frage: Wie sollte seine Zukunft aussehen? Er hoffte auf Begnadigung. An Fürsprechern mangelte es nicht. Doch das Land, das er so sehr liebte, schien außerhalb der Unfreiheit keinen Platz für ihn zu haben. Es wurde zwar zu Beginn des Jahres 1850 in den Tageszeitungen berichtet über Amnestieberatungen in den Kammern sowie über einen Aufruf des Justizministeriums, gegenüber politischen Gefangenen Gnade walten zu lassen, jedoch fürchtete Theodor, dass Entscheidungen in Kürze nicht zu erwarten waren und an eine baldige Freilassung nicht zu denken war. Er nutzte die Zeit im Gefängnis zur Weiterarbeit an seinem Buch. Das Aufschreiben von Erinnerungen, Ideen, Gedanken und Gefühlen war nicht nur eine gute Möglichkeit der Selbsthilfe, sondern auch eine Dokumentation seiner Situation für alle diejenigen, die daran interessiert waren und das waren nicht wenige. Er beendete die Schrift "Aus dem Gefängniß, Deutsche Erinnerungen und Ideale" noch vor dem Ende des Monats Januar 1850. Die "Erinnerungen" sind in drei Bereiche unterteilt: Tagebuch, Poesien und Charaktere (Robert Blum, Heinrich von Gagern, Gottfried Kinkel, Julius Fröbel).
Zum Geburtstag seines Vaters (11. März) schreibt er ihm, dass er für sein Manuskript einen Verleger gefunden hat und was ihm das bedeutet: "Obwohl mir gelungen war, mich innerlich einigermaßen von der Sorge zu befreien, so fühle ich es nun doch sehr wohlthuend, daß ich sie wirklich los bin und mein Gefängnißkind untergebracht habe. Nie dachte ich weniger als gerade diesmal an Alles was sonst wohl die Phantasie eines Menschen, der ein Buch geschrieben hat, ihm vorgaukelt; ich fühlte nur so einfach, so dringend das Bedürfniß, wieder einmal zu reden, in Verkehr mit Menschen zu treten, mich und was ich bin und habe, zu zeigen wie es ist. Gleichsam wie eine nothwendige Ergänzung meiner Einsamkeit und Abgeschlossenheit!" (Lebensbild S. 392) Er war sich sicher, den nächsten Geburtstag seines Vaters nicht im Gefängnis in Hildesheim, sondern in Freiheit verbringen zu können. In Erinnerung an den Frühling vor zwei Jahren, speziell die Aufbruchstimmung der Märztage schreibt er seiner Schwester Elisabeth am 21. März 1850: "Frühlingsanfang heut, liebe Kleine! - und ein so dichter, voller Schnee draußen auf den Bäumen, wie kaum im strengsten Winter. Sie macht mir fast Scherz, diese ironische Wetterveränderung, die gerade mit den Märztagen glorreichen Angedenkens auf einmal begann, uns ein kleines Spiegelbild ihres Verhältnisses zu unseren gegenwärtigen Zuständen zu geben. Ich kann diese Aufrichtigkeit wohl leiden, umso mehr, da ich noch in keinem Augenblick die Hoffnungen meiner hiesigen Freunde auf einen baldigen Umschwung der Dinge getheilt habe. Die herrschenden Mächte sind viel zu sehr selbstbewußt geworden, als daß sie daraus nicht Kraft und Verzweiflungsmuth schöpfen sollten, mit Strenge oder Milde Alles zu versuchen, am Ruder zu bleiben. Das Maß, welches einmal übergelaufen war und dann umgeschüttet wurde, füllt sich erst langsam wieder. Die öffentliche Meinung hat ihre geheimnißvoll drängende Macht verloren. Alles wird klar überschaut, jeder kennt seine Feinde auch in den feinsten Verkleidungen, gleichsam in der Spitzengarnitur der Principientoilette; im Duftigsten. Leichtesten und scheinbar Bedeutungslosesten erkennt er doch den einen Charakter, den einen Lebenskein und Todeskeim; er braucht nicht mehr auf die volle Uniform und die Keulenschläge zu warten, schon ein leises Federkritzeln parirt er. Bei dieser vollen Klarheit, die nicht nur uns, sondern noch viel mehr unseren Feinden vor dem März noch fehlte, sind diese natürlich, im Besitz der Macht, unendlich stärker als vor der Revolution. Sie sind zwar durch dieselbst aus einer Stellung verdrängt, die sie nie wieder erobern können, und die Geschichte, welche nur den Gasammtverlauf des Kampfes überblickt, verzeichnet damit eine Niederlage in ihre Annalen. Aber wir befinden uns im Anfang der Periode, wo diese neue Stellung noch sehr fest ist, und uns schwerer als die vorige zu erobern dünkt. Ueber zehn Jahre wird das anders sein..." (Lebensbild S. 393) Inzwischen hatte er wieder Petitionen mit ärztlichem Attest auf den Weg gebracht, musste sich aber weiter gedulden. Er las nun viel, Hölderlins "Empedokles", Richard Wagners "Kunstwerk der Zukunft", Plancks "Weltalter" und Schriften der Kirchenväter Josephus, Ignatius und Clemens. Während dieser Zeit empfing er über seinen Bruder Friedrich, der in Berlin studierte, einen Brief von Alexander von Humboldt, datiert vom 9. Mai 1850, eine Antwort auf Theodors Schreiben in Bezug auf eine Stelle von Josephus über einen unbekannten Kontinent, den Humboldt bei seinen entsprechenden Studien noch nicht entdeckt hatte. Humboldts Zeilen zeugen von großer Wertschätzung für den Menschen und wissenschaftlich tätigen Theodor Althaus und musste für den Ausgeschlossenen eine große Freude sein. Wenige Tage später war es dann endlich so weit. Seine Gefangenschaft war zu Ende. Am 15. Mai 1850 schrieb er seinem Bruder nach Berlin: "Doch über drei Tag' und
ein Jahr - so summte ich vor einem Jahre aus dem Herwegh'schen Lied und wußte
nicht, daß ich ein Jahr und einen Tag im Gefängniß sein und dann 'vom Thurm
niedersteigen' würde. Ich bin frei, lieber Junge!" (Lebensbild S. 396) In Freiheit Am 15. Mai 1850 ging er Nachmittags in die Hildesheimer Domschenke, machte dann zusammen mit einem Mitgefangenen einen letzten Spaziergang um den Wall und packte Abends seine Sachen. Am nächsten Tag verabschiedete er sich im Staatsgefängnis Hildesheim und fuhr nach Hannover, wo er Wohlbrück und Halsen besuchte, bei dem er wohl die Nacht verbrachte. Am Morgen des 17. Mai besuchte er noch Rodenstock und fuhr Abends nach Detmold, wo er schon voller Freude erwartet wurde. Seine Schwester Elisabeth erinnert sich: "Ich war auf die Post gegangen, ihn abzuholen, und obgleich ich sonst wenig daran dachte, ob dieser geliebte Bruder eine schöne Erscheinung habe, war ich nun ganz ergriffen von der elastischen Stattlichkeit, der vornehmen Gestalt, dem Glanz des Blickes, der Feinheit der Züge. Ganz selig ging ich an seiner Seite und sah mit unendlichem Stolz zu ihm auf." (Lebensbild S. 398) Die Frage nach einer beruflichen Perspektive stand vorerst nicht im Vordergrund von Theodors Überlegungen. Eine weitere journalistische Arbeit wäre durchaus möglich gewesen, Angebote lagen ihm vor, jedoch fühlte er sich dem enormen Arbeitsaufwand in einer Redaktion angesichts seiner gesundheitlichen Verfassung nicht gewachsen. Um neue Kräfte zu sammeln, entschloss er sich zu einer Reise in das belgische Seebad Ostende, die er am 17. Juli 1850 antrat. Es war ein angenehmer Aufenthalt mit Spaziergängen am Strand, Baden im Meer und Ausflügen nach Gent und Brügge, versüßt durch eine liebenswürdige Frau, die allerdings wenig später nach Amerika auswanderte. Gestärkt und in guter Stimmung kehrte er Mitte August nach Detmold zurück, wo er im Kreis seiner Familie den Spätsommer genießen konnte mit Gesprächen und gemeinsamer Lektüre, wie Wagners "Tannhäuser" oder "Agamemnon" und "Prometheus" von Aeschylus. Doch einige Wochen später ließ die Krankheit wieder alle Kräfte schwinden. Inzwischen war er durch Anna Koppe aus Berlin und seine Detmolder Freundin Malwida von Meysenbug auf die seit dem 1. Januar 1850 bestehende "Hochschule für das weibliche Geschlecht" in Hamburg aufmerksam geworden. Diese Einrichtung, in der auch die beiden Freundinnen tätig waren, war in Zusammenarbeit mit der von Johannes Ronge gegründeten freien Gemeinde entstanden und suchte Mitarbeiter. Man war daran interessiert, Theodor Althaus als Lehrer für die geplante Gemeinde-Schule und als Dozent für die Hochschule einzustellen. Erst im November fühlte er sich körperlich in der Lage, nach Hamburg zu reisen. Einen Monat später wurde er nach einem Prüfungsverfahren angenommen und sollte im Laufe des Monats Januar mit der Arbeit beginnen.
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Biografie ist als Taschenbuch erschienen... Biographie in der Kindle Edition erschienen: Leseprobe hier:
Texte von Theodor Althaus beim Aisthesis Verlag Bielefeld: |
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1822-1840: Kindheit und Jugend in Detmold
1840-1843: Studium in Bonn, Jena, Bonn, Berlin
1843, 1844, 1845: Jahre im Detmolder Elternhaus
1846: Zukunft des Christenthums, Harzreise, Rheinfahrt im August
Texte von Theodor Althaus: Theodor
Althaus, Der Heidelberger Katechismus und die kirchlichen Kämpfe im Fürstenthum
Lippe, Bremen 1845
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Text und Fotos:
©Renate Hupfeld
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