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Theodor Althaus im Jahr 1847

Detmold - Leipzig

©Renate Hupfeld
 

 

Nachdem sich eine journalistische Tätigkeit verbunden mit einer Übersiedlung nach Bremen nicht verwirklichen ließ, blieb Theodor Althaus zunächst in Detmold und widmete sich in diesen Frühlingsmonaten des Jahres 1847 vor allem seinen schriftstellerischen Projekten, indem er zunächst seine zahlreichen Gedichte der vergangenen Jahre sammelte und drei Zyklen zuordnete:

In "Zwei Welten" fasst er Gedichte zusammen, die zum einen die Welt der Wirklichkeit und zum anderen die Welt des Ideals zeigen, wie in der letzten Strophe von "Herber Gruß":

Und es kommt die Zeit, wer weiß wie fern,
Wo die Strahlen die Nebel verscheuchten.
Und es funkelt des freien Lebens Stern
Im Grün, im thauigen, feuchten;
Aber wir, wir sterben im Morgenroth,
Das hervorbricht siegend durch Kälte und Tod
Mit dem kühn aufdämmernden Leuchten!
(Lebensbild S. 207)

Im "Zwischenreich" sind Texte zusammengefasst, in denen der Autor in zwangloser Freiheit seinen lyrischen Empfindungen Raum gibt, zum Beispiel bei einer nächtlichen Bootsfahrt auf dem Rhein oder beim Erleben einer Landschaft. Die ersten drei von acht Strophen von "Zu einer Landschaft":

Fühlst dich festgehalten hier -
Und warum so lang?
Rauscht der Wald so süßen Traum,
Hörst du Vogelsang?

Ach, wozu so holder Klang,
Wenn die Melodien
Mit so andern Tönen mir
Durch die Seele ziehn?

Nein, mein Herz, du wolltest fliehn
Jeden fremden Ton,
Und in eine stille Welt
Bist du hier entflohn.

(Lebensbild S. 217)

Im Gedichtzyklus "Zwei Seelen" verarbeitet er Liebesglück und -leid im Zusammensein mit seiner Freundin Malwida von Meysenbug. Hier ist ein Beispiel:

Ein Leiden

Lieb Herz, ich fühl ein Leiden,
Weiß doch nicht, wer mir's thut;
Ich fürchte fast, wir beiden
Sind für die Welt zu gut:

Wir lieben uns im Freien,
Und wenn wir uns nicht sehn;
Doch zwischen Menschen und Wänden
Will nichts von Herzen gehn.

Weiß  i c h  nur nicht zu leben?
(Dich lieben, das ist leicht);
K a n n st  du kein Wort mir geben,
Wenn deine Lippe schweigt?

Ich will das Fragen nur lassen,
Was wird damit geschafft!
Doch fürcht' ich, heilges Wesen,
Du liebst zu geisterhaft,

Und danktest am End' noch dem Himmel,
Wenn ich einst gestorben wär':
Daß ich schwelgte in Geisterchören,
In des Lichts unendlichem Meer.

Wenn  D u  stirbst, müßt ich mich werfen
Zu Nacht hin über dein Grab,
Und mein Herz an die Erde, und - siehst du,
Da bricht mir schon Alles ab! -

Eine Publikation dieser  poetischen Texte ist allerdings nicht erfolgt. Sie wurden lediglich einem kleinen Freundes- und Bekanntenkreis zugänglich gemacht und liegen nur teilweise in gedruckter Form vor, und zwar in der Biographie seines Bruders "Lebensbild" sowie in der unten erwähnten Schrift von Dora Wegele.

Außerdem vollendete er seine Sammlung von Erzählungen, die unter dem Titel "Mährchen aus der Gegenwart" im darauf folgenden Jahr gedruckt wurde. Für mich sind diese sieben Zeitbilder neben den Malwida von Meysenbug gewidmeten Gedichten das schönste literarische Vermächtnis von Theodor Althaus, weil diese Texte, wenngleich zum Teil verschlüsselt, unmittelbar Einblicke in das Erleben eines überaus engagierten jungen Menschen in dieser zerrissenen Zeit geben. So geht es um Begegnungen auf Wanderungen auf die Ebernburg bei Bad Münster am Stein ("Herberge zur Gerechtigkeit") und zum Hermannsdenkmal auf die Grotenburg bei Detmold ("Ein Idyll"), das Erlebnis eines Theaterbesuchs in Detmold oder eine Freundschaft vor dem Hintergrund der Auswanderung eines Freundes, alles Themen, die die Menschen zu der Zeit berührt haben und jeden an vormärzlichen Gegebenheiten interessierten Leser berühren.

Der inzwischen 24-jährige junge Mann arbeitete  in seinem Zimmer im Elternhaus, dem Pfarrhaus zur Wehme in der Bruchgasse.  Das Zusammenleben in der Familie war warm und herzlich, die Eltern waren trotz zum Teil konträrer Ansichten in der Lage, Theodor nicht nur zu tolerieren, sondern seine Fähigkeiten und Leistungen in den Vordergrund zu stellen und seinen Charakter, für den Gerechtigkeit und offene Klarheit  oberstes Gebot war, in besonderer Weise zu wertschätzen. Die Geschwister waren dankbar für die Vorreiterrolle in Bezug auf einige von der Mutter initiierte lästige Rituale als religionserzieherische Maßnahmen. Sie bewunderten und verehrten ihn. Der seinerzeit 18-jährige Bruder Friedrich Althaus erinnert sich 40 Jahre später in seiner Biographie:

"Ich meinerseits hörte auf dem Gymnasium viel von alter und ältester, so gut wie nichts von deutscher Geschichte, besonders nichts, was einen Einblick in die Zustände der Gegenwarte hätte gewähren können. Die Schleier, mit welchen diese für mich bedeckt waren, wurden mir zuerst von Theodor gelüftet; überhaupt war er mir durch sein Beispiel und seine Unterhaltung ein Lehrer und ein Vorbild dessen, was, damals wenigstens, weder die Schule noch das Leben lehrten. Bei lebhafter, liebenswürdiger Theilnahme an den kleinen Vorkommnissen des täglichen Lebens, blieb die Hauptsache für ihn doch immer die Beschäftigung mit den Dingen, welche über das Einerlei der Alltäglichkeit hinauslagen. (Lebensbild S. 224)

Über Theodors Verhältnis zu seiner Schwester Elisabeth, damals 21 Jahre alt, schreibt Friedrich Althaus:

"Außer mir fand er, ..., eine besonders begeisterte Schülerin an meiner Schwester Elisabeth, die, selbst hochbegabt, den hochbegabten Bruder mit leidenschaftlicher Hingebung liebte und allmählich die intimste Vertraute seiner Gefühle und Gedanken, seiner Hoffnungen und Zweifel, seines ganzen Gemüths- und Geisteslebens wurde." (Lebensbild S. 224)

Ebenfalls erwähnt der Biograph Theodors Verhältnis zu seinem 9 Jahre jüngeren Bruder Julius, der sich später als progressiver und erfolgreicher Neurologe in London einen Namen machte. Ohne ihm seine innersten Gedanken nahe bringen zu können, weil er noch zu jung war, sei Theodor bestrebt gewesen, dem Jungen den rechten Weg zwischen Freiheit und Notwendigkeiten aufzuzeigen und habe sich viel Zeit für ihn genommen. Häufig gab es Diskussionen mit seiner Mutter, die durch die eigene religiöse Erziehung als Tochter von Bischof Dräseke auf tägliche Rituale Wert legte. So bestand sie darauf, dass sich die Kinder am frühen Morgen in der Zeit zwischen Frühstück mit Bibelstellen und Gesangbuch beschäftigten. Dieses hastige Einschieben  von religiösen Inhalten war den Kindern lange zuwider. Theodor war es, der in dieses Zeremoniell als religionsaustreibend kritisierte, obwohl ihm klar war, dass er der geliebten Mutter damit wehtat. Offenheit war ihm jedoch wichtiger. Ohne ehrliche Auseinandersetzung war für ihn kein vernünftiges Zusammenleben und schon gar keine Liebe möglich. Schließlich konnte die Mutter sich seinen Argumenten nicht mehr verschließen. Sie reduzierte ihre Bemühungen um religiöse Erziehung und behielt das Zeremoniell nur noch an den Sonntagen bei. In dem Zusammenhang skizziert der Bruder die Stimmung im Pfarrhause Althaus in Detmold:

"Mit schwerem Herzen gab sie es auf und hielt nun nur an den Sonntagen fest, und das war für uns Alle eine Freude. Sonntäglichere Räume als die beiden Zimmer, in denen wir wohnten, habe ich nie gesehen. Die weinumkränzten Fenster, die Sonntags immer mit frischen Blumen geschmückten Vasen und Blumenkörbe, die Nähe des Kirchengeläutes, die Stille, auf welche streng gehalten wurde, um Vater durch keinen Laut in der Vorbereitung zur Predigt zu stören - Alles gab Friedenshauch und Feiergefühl. Dann lag eine schöne Damastdecke auf dem Tische; Zucker zum Kaffee, frisches weißes Brod und Butter, ein Luxus, der den Sonntagen vorbehalten war, machten Alle so behaglich und auch die Kleinen festesfroh. Dann lag vor Mutter die Bibel aufgeschlagen und oft, wenn sie nicht gleich fand, was ihrem Herzen entsprach, reichte sie sie Theodor hinüber..." (Lebensbild S. 229)

Frau Althaus liebte ihren Ältesten, war stolz auf seine Fähigkeiten, respektierte ihn mit all seinen Charakterzügen und vertraute ihm bedingungslos. Das Gleiche war auch bei Theodor der Fall. Schon weil er die Mutter so sehr liebte, brachte er es nicht fertig, ihr seine gewonnenen Erkenntnisse und Überzeugungen zu verschweigen.

Angesichts dieser religiösen und politischen Überzeugungen war an eine theologische Laufbahn in der lippischen Residenz weiterhin nicht zu denken. Immer noch wurde er von gesellschaftlichen Veranstaltungen ausgeschlossen und von den maßgeblichen Kreisen ausgegrenzt. Theodors Kontakte außerhalb der Familie beschränkten sich auf wenige Gleichgesinnte. Vor allem pflegte er eine enge Verbindung zu Malwida von Meysenbug, die in zunehmendem Maße fasziniert war von der Klarheit seiner Gedanken und der Brillianz in der Darstellung seiner Standpunkte und seine Ansichten teilte. Trotz der Widerstände von Malwidas adligen Familie gegen diesen kritischen demokratischen Geist, dem eine negative Wirkung auf die junge Frau zugeschrieben wurde, trafen sie sich, wann immer es möglich war und es gingen fast täglich Briefe zwischen ihnen hin und her. Doch ohne berufliche Perspektive des jungen Mannes blieb eine engere Beziehung in jedem Falle ein schöner Traum.

Weiterhin war Theodor bestrebt, einen beruflichen Wirkungskreis zu finden und orientierte sich nach Leipzig, das zu jener Zeit viele Intellektuelle in einer von vormärzlicher Aufbruchstimmung geprägten Szenerie anzog. Außerdem war Leipzig ein Zentrum von fortschrittlichen Verlagen, Buchhandlungen und Magazinen. So knüpfte er bereits von Detmold aus Kontakte zu Verlegern und Redakteuren, von denen er sich Aufträge versprach. Den einen oder anderen literarischen oder journalistischen Text lieferte er schon vor seiner Übersiedlung ab, so zum Beispiel bei dem von Brockhaus herausgegebenen Magazin "Blätter für literarische Unterhaltung".

In diesem Magazin erschien seine Rezension zu Heinrich Heines "Atta Troll", eine der wenigen Texte von Althaus, die in neueren Druckausgaben (Reclam Nr. 104 aus dem Jahre 1971) publiziert sind.

Ende Juni des Jahres 1847 war es dann so weit. Er verließ das Detmolder Elternhaus und zog in die Stadt, in deren Szenelokalen sich wohl wie in keiner anderen das intellektuelle Geschehen um den literarischen Vormärz bündelte. Vieles, was Theodor in seiner Heimatstadt so sehr vermisst hatte, fand er hier und war sofort mitten drin in Gesprächen, Projekten und Aktionen. Wie elektrisiert gibt er In Briefen an Eltern und Geschwistern sowie in Tagebucheintragungen eine Vielzahl von Stimmungs- und Charakterbildern, die im "Lebensbild" nachzulesen sind.

Während seiner Aufenthalte im "Café Francais" und anderen Treffpunkten findet er bei Bier und Kafee schnell Anbindung zu Gleichgesinnten, zum Teil einflussreiche und namhafte Protagonisten des deutschen Vormärz, wird zu Kränzchen und gemeinsamen Unternehmungen eingeladen. Er lernt Friedrich Hebbel (1813-1863) kennen und macht  mit dem Historiker Heinrich Wuttke (1818-1876) eine Wanderung zum Schlachtfeld von 1813, wo Jahrzehnte später das Völkerschlachtdenkmal erbaut werden sollte. Darüber und über andere Angelegenheiten seiner neuen Wirkungsstätte, zum Beispiel dem von Robert Blum ins Leben gerufenen Schillerfest, verfasst er Artikel für die Bremer "Weserzeitung" und die "Kölnische Zeitung". Weiterhin schreibt er Rezensionen für die "Blätter für literarische Unterhaltung" und  wird bald als Autor und Mitarbeiter bei verschiedenen Zeitungs- und Buchprojekten angefragt.  So verfasst er eine Kurzbiographie von Nikolaus Lenau (1802-1850) für die von Arnold Ruge (1802-1880) herausgegebenen "Die politischen Lyriker unserer Zeit" und arbeitet mit dem gleichen Herausgeber an einer "Weltgeschichte für die Jugend". Robert Blum (1807-1848) bittet um Mitarbeit am "Staatslexikon für das deutsche Volk" und er bekommt von Otto Wiegand (1795-1870) den Auftrag, den Roman "Lucrezia Floriani" von George Sand (1804-1876) zu übersetzen.

In diesem Leipziger Sommer und Herbst ist Theodor Althaus voll mit Arbeit ausgelastet und hat Mühe, Zeit für seine eigenen literarischen Projekte zu finden, denn es gilt die Veröffentlichung seiner "Mährchen aus der Gegenwart" vorzubereiten, für die er inzwischen einen Verleger gefunden hat. Das Weihnachtsfest feiert er im Kreise seiner Familie in Detmold...

 

 

 
 

Biografie ist als Taschenbuch erschienen...

Biographie in der Kindle Edition erschienen:

Leseprobe hier:

 text und byte 

 

Texte von Theodor Althaus beim Aisthesis Verlag Bielefeld:

AlthausLesebuchAisthesis2010.htm

www.aisthesis.de

 
 
     



 

 

 

Wer war Theodor Althaus?

1822-1840: Kindheit und Jugend in Detmold

1840-1843: Studium in Bonn, Jena, Bonn, Berlin

1843, 1844, 1845: Jahre im Detmolder Elternhaus

1846: Zukunft des Christenthums, Harzreise, Rheinfahrt im August

1847: Detmold, Leipzig

1848: Revolutionsjahr

1849: Im Gefängnis

1850: Aus dem Gefängnis

1851: Freiheit?

1852: Letzte Monate

 

 

 

Texte von Theodor Althaus:

Theodor Althaus, Der Heidelberger Katechismus und die kirchlichen Kämpfe im Fürstenthum Lippe, Bremen 1845
Theodor Althaus, Eine Rheinfahrt im August, Bremen 1846
Theodor Althaus: Die Zukunft des Christentums, Darmstadt 1847
Theodor Althaus, Mährchen aus der Gegenwart, Leipzig 1848
Theodor Althaus, Aus dem Gefängniß Deutsche Erinnerungen und Ideale, Bremen 1850
Theodor Althaus, Zeitbilder 1840 - 1850, Hg. von Renate Hupfeld, Aisthesis Verlag Bielefeld 2010

Veröffentlichungen über Theodor Althaus:

Friedrich Althaus, Theodor Althaus. Ein Lebensbild, Bonn 1888
Malwida von Meysenbug, Memoiren einer Idealistin, Erster Band, Volksausgabe,  Schuster & Löffler, Berlin und Leipzig 
Dora Wegele, Theodor Althaus und Malwida von Meysenbug, Zwei Gestalten des Vormärz, Marburg/Lahn 1927
Annegret Tegtmeier-Breit, Theodor Althaus, Enfant terrible der Detmolder Gesellschaft in: Lippe 1848, Von der demokratischen Manier eine Bittschrift zu überreichen, Lippesche Landesbibliothek Detmold 1998

 

 

 

Text und Fotos:

©Renate Hupfeld

Letztes Update:

07.11.2011

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