Theodor Althaus
Detmold 1844
©Renate
Hupfeld
Im Mai 1844 kehrte Theodor zurück nach Detmold. Doch was sollte in dieser beschaulichen Residenz? Interessante Begegnungen und Erlebnisse hatte er gehabt in Berlin und war nahe dran gewesen am politischen Geschehen in dieser Zeit des Vormärz. Doch was er für sich erhofft hatte, war nicht eingetreten. Zukunftsperspektiven hatten sich nicht aufgetan. Im Gegenteil. Die Erfahrungen während seines Aufenthaltes in der preußischen Hauptstadt ließen ihn zu dem Schluss kommen, dass es für ihn schwer würde in der Gesellschaft einen Platz zu finden. Und wollte er das überhaupt in diesen Strukturen, die er für überholt und erneuerungsbedürftig hielt? Wollte er ein angepasstes Leben führen wie die Philister, die er verachtete, weil sie die Augen verschlossen vor den Missständen und Notwendigkeiten? Theodor war seit Kinkel, Arndt, Dahlmann und Hase immer mehr auf der Seite derer, die von den Zensurbehörden kritisch beobachtet, verfolgt und ausgewiesen wurden. Er hatte ja noch nie das kritische und offene Wort gescheut, doch in Zukunft wollte er effektiver als bisher in das politische Geschehen eingreifen, sich für Volkssouveränität, Pressefreiheit und nationale Einheit einsetzen. Er verehrte Hoffmann von Fallersleben, der ohne Anstellung durch die Lande reiste und zahlreichen Gesinnungsgenossen seine Gedichte vortrug. Während dieser Frühlings- und Sommerwochen in Detmold kam eine junge Frau in Theodors Leben, die ebenfalls Schwierigkeiten hatte, einen Standort zu finden in einer Gesellschaft, in der sie sich nicht Zuhause fühlte und die ihn insgeheim nach seiner Predigt ein Jahr zuvor in der Marktkirche ihren Apostel nannte: Malwida von Meysenbug. Auch sie war in diesem Frühjahr aus einer Großstadt zurückgekehrt und erlebte die Enge in der beschaulichen Residenz wie eine Fessel. Auch sie hatte sich zum Ziel gesetzt effektiver als bisher in das politische Geschehen einzugreifen. Sie hatte sich mit Theodors Schwester Elisabeth angefreundet und erinnerte sich später an diese erste Begegnung: "Sie sprach mir oft von
ihrem Bruder, den sie leidenschaftlich liebte; er war ihr alles, ihre Liebe für
ihn war ein wahrer Kultus. Ich hörte ihr mit tiefem Anteil zu, und das Bild des
jungen Apostels wurde mir dadurch noch teurer. Man erwartete ihn in der Familie
im Frühjahr bei seiner Rückkehr von der Universität... Es folgte ein Besuch der Geschwister Althaus im Palais der Familie von Meysenbug in der Hornschen Straße, über den Malwida auch berichtet: "Einige Tage darauf wurden, auf meine Bitte, seine Schwestern und er zu uns gebeten. Ich war auch da schon unter dem Einfluss jenes innern Zwanges, der mir so viele Stunden meines Lebens verdorben hat - dieser sonderbaren Unmöglichkeit, frei mein Herz zu öffnen, wo es sich am liebsten frei gegeben hätte. Doch hatte ich zuletzt noch einen Augenblick lang allein mit ihm ein Gespräch, dessen Gegenstand die zweite Schwester war, die er nur die 'Kleine' nannte. Die Liebe, die wir beide für sie hatten, machte mich beredt. Indem ich meiner Liebe für sie Ausdruck gab, fühlte ich, dass der Bruder fortan der dritte sein würde in diesem Bunde, welcher bereits einen Teil meines Lebens ausmachte." (Memoiren S. 124) Es ist anzunehmen, dass es in jenem Sommer noch mehrere Zusammenkünfte und Begegnungen der beiden gab, bis Malwida zu einer achtmonatigen Reise in die Provence aufbrach. Theodor überraschte sie frühmorgens an der Postkutsche, um sie zu verabschieden. "...Er gab mir einen Blumenstrauss, an den ein Brief angebunden war, der anstatt der Adresse diese Worte Tassos enthielt: 'I suoi pensieri in lui dormir non posso'... Nach einigen Stunden hielt der Postwagen in einem kleienn Ort, wo die Reisenden zu Mittag assen. Ich ging statt dessen in den Garten des Posthofs und öffnete meinen Brief. Es waren Verse: ein Abschiedssonnett und ein längeres Gedicht..." (Memoiren S. 129) "Seine Gedanken lassen ihn keinen Schlaf finden", so könnte man das Tassozitat übersetzen. Theodor hatte sich verliebt und die Geliebte war in weiter Ferne. Liebe und Sehnsucht sind die Themen der Gedichtszyklen 'Nordischer Wintergarten' und "Zwei Seelen', die er Malwida gewidmet hat. Widmung Wie diese Lieder sind
entsprungen. Mir waren weit in kranken
Stunden Als ich dich sah, da
fühlt' ich wieder, Und wie die
Frühlingsblüthen danken (Aus: Wegele S. 193) Nachdem Malwida am 30. September 1844 Detmold verlassen hatte, fühlte sich Theodor angesichts des bevorstehenden Herbstes und Winters noch einsamer in Detmold. Vergeblich versuchte er sich abzulenken. Am 20. Oktober schrieb er in sein Tagebuch: "Nachdem ich auf drei Bällen bis zum lichten Morgen den Kelch der unendlichen Geistesleerheit unter meinen früheren Bekannten bis auf die Hefe geleert hatte, lüstete mich's, einmal andere Gesichter und andere Berge zu schauen; und mit der abenteuerlichen Botanisirbüchse um die Schulter wanderte ich eines schönen Morgens, unter bedecktem Herbsthimmel, ziemlich spät zur Stadt hinaus. Die beiden vorhergehenden Tage hatte ich äußerst fleißit, und den letzten noch bis Mitternacht, an einer Broschüre über den großen Schritt Freiligrath's und sein 'Glaubensbekenntnis' gearbeitet. Damit war mir's eigen gegangen. der Enthusiasmus der Sache hatte michweit über den Poeten hinausgerissen und fast mein Urtheil bestochen - ein neuer Beweis, daß die That und der historische Hauch, der uns aus ihr anweht und in ihr umweht, etwas ganz Besonderes ist, von dessen Macht nur sie selbst, und nicht das Denken am Schreibtische zeugt. In den Momenten oder Tagen, wo der Humor der Sache sich einzustellen begann als strenge, ungenügsame Kritik, schrieb ich die Blätter, in einer Stimmung, die zuweilen schwankend und getheilter Meinung war; doch freute es mich, daß es mir am Ende gelang, den allgemeinen Standpunkt für dies Ereigniß kräftig einzunehmen. Das Schicksal dieser Blätter spukte mir in allerhand jungen Autorträumen während des Weges im Kopfe herum." (Lebensbild S. 106) In jenem Jahre machte der in Detmold geborene Ferdinand Freiligrath (1810-1876) mit seiner Gedichtsammlung 'Glaubensbekenntnis' von sich reden, vor allem weil die preußischen Zensurgerichte mit diesen Texten beschäftigt war. Theodor schrieb einen längeren Artikel zu diesem Werk von Freiligrath, den er in Wiegands Vierteljahreszeitschrift veröffentlichen konnte. Die Wanderung führte ihn über Lemgo, von wo aus er bis Langenholzhausen von einem Schneider begleitet wurde. Theodor wunderte sich über das Desinteresse seines Gesprächspartners an politischen Angelegenheiten und er versuchte ihn aufzuklären: "...Als ich ihn aber fragte, wer denn in für dies Jahr aus B. unter die Landstände gewählt sei, behauptete er, das wüßte er wahrhaftig nicht zu sage. Nun erzählte ich ihm allerlei von den Conflicten der Landstände mit der Regierung; aber das Höchste, was ich ihm beizubringen suchte, waren die einfachen schlicht bürgerlichen Samenkörnchen von Recht und Ordnung, mit denen doch Alles zugehen müsse. Dafür ließ ich mir ohne Einrede gefallen, daß er meine kleine Last bis zum Orte seiner Bestimmung schleppte." (Lebensbild S. 107) Der weitere Weg führte ihn in die kurhessische Weserstadt Rinteln, wo er sich einige Tage bei Verwandten aufhielt. Wie beim Gespräch mit dem Schneider, nutzte er auch diesen Aufenthalt zu gesellschaftlichen Studien. Er nahm an einem Soirée teil, mokierte sich insgeheim über die banalen Gesprächsthemen und entlarvte manche Aussage als Heuchelei. So schrieb er über sein Gespräch mit einer jungen aristokratischen Dame:: "...Und wer verdenkt's ihnen, wenn sie das schauderhaft langweilige Philisterleben nicht mögen? Aber sie wird einen Wüstling heirathen, der sie bald über seinen Pferden und Hunden vergessen wird." (Lebensbild S. 108) Wieder ging ein Jahr zu Ende und Theodor resümierte am Silvesterabend 1844 in seinem Tagebuch: "Hätt' ich nur einen hier, nur den Georg Weerth! Wären vollends die aequales à la Cruel in Geist, und halbwegs à la Weerth im Uebrigen, so wollten wir hier ein Leben aufstecken, das eine Macht werden und der Mittelmäßigkeit, die was sein will, eines schönen Tags den Todesstoß versetzen sollte. Freilich, wie lange pflegt dann das Band auch solcher Kreise zu halten? Hier, wo jeder im Lande bleibt und sich redlich nährt, wohl etwas länger. Aber gottlob, das Leben hier affizirt mich selbst durch den Gegensatz nicht mehr. Daß man sich findet und accommodirt und gleichgültig, ja fade wird, begreife ich. Aber wie man je vergessen kann, daß das Alles Lumperei ist?..." (Lebensbild S. 108-109)
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Texte von Theodor Althaus beim Aisthesis Verlag Bielefeld: AlthausLesebuchAisthesis2010.htm
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Biografie ist als Taschenbuch erschienen...
1822-1840: Kindheit und Jugend in Detmold
1840-1843: Studium in Bonn, Jena, Bonn, Berlin
1843, 1844, 1845: Jahre im Detmolder Elternhaus
1846: Zukunft des Christenthums, Harzreise, Rheinfahrt im August
Texte von Theodor Althaus: Theodor
Althaus, Der Heidelberger Katechismus und die kirchlichen Kämpfe im Fürstenthum
Lippe, Bremen 1845
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Text und Fotos:
©Renate Hupfeld
Letztes Update:
27.05.2010