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Theodor Althaus

Studium in Jena (1841-1842)

©Renate Hupfeld


 

  Ende Oktober des Jahres 1841 reiste Theodor Althaus in hoffnungsvoller Stimmung nach Jena und setzte dort sofort sein Vorhaben in die Tat um. Er wurde Burschenschaftler und das bedeutete ein starkes Eingebundensein in Commerse, Kneipereien, Bälle und Soiréen. Am  22. November, schrieb er dem Vater:

"Dieser Fürstenkeller ist ein geräumiges Haus am Fürstengraben, etwa fünf Minuten vom Markt entfernt. Wir sind 60-70 Mann stark. In bin verpflichtet, wöchentlich zweimal, Mittwochs und Sonnabends, von 8-10 auf die Kneipe zu kommen, außerdem Sonntags von 1-2 zur allgemeinen Versammlung. Einmal wöchentlich Abends ist Kränzchen, wo über philosophische, politische und andere Gegenstände Aufsätze eingereicht und besprochen werden. Zeitungen und eine kleine Bibliothek politischen Inhalts sind im Kneiplocal. Ich gehe um zwölf Uhr zum Essen, das ganz gut ist, dorthin, bleibe bis eins oder zwei da und lese, fechte, conversire  ... Die Tendenz unserer Verbindung und sie selbst ist viel zeitgemäßer als der Burgkeller, denn dort hält man noch die alten Formeln und Redensarten sklavisch fest und lebt bloß eine große Zeit sklavisch nach, während wir in unserer Zeit, und auf sie einwirkend, leben wollen ... Günstig wired es dich vielleicht stimmen, daß Hase unsrer Verbindung sehr zugethan ist." (Lebensbild S. 49)

Einen Tag später berichtete er seiner Schwester Details über sein Wohnumfeld am Jenaer Marktplatz:

"... Zweimal in der Woche ist Markt unter meinen Fenstern, und da ist von morgens sieben an ein fürchterliches Getöse. Nach italienischer Art werden hier in einer Bude mitten auf dem Markt allerlei Fleisch und Würste gebraten und aus freier Hand verzehrt. Einige zwanzig Fleischer treiben ihr Geschäft, Gemüse, Obst etc. wird in Masse hereingebracht, die Jenenserinnen wogen dazwischen mit ihren Körbern und Schürzen, hier und da steht ein Haufe Studenten und sieht einer Paukerei auf Stoß zu. Neulich, an einem schönen Nachmittag, tranken wir in großer Anzahl mitten auf dem Markt Kaffee; ich wollte, Du sähest einmal eine solche Gesellschaft. Die Hauptingredienzien sind Schlafröcke, Pfeifen, Papiere und Mappen." (Lebensbild S. 50)

Die Weiterentwicklung seines Studiums ließ sich nicht so an, wie er es sich vorgestellt hatte. Es gab Überschneidungen und personelle Änderungen im Lehrkörper, die er nicht hatte voraussehen können. Zufrieden war er mit den beiden Koryphäen der theologischen Fakultät, Baumgarten-Krusius und Hase. Von Letzterem bekam er seine erste Einladung zum berühmten Rosenball. Jedoch kam es zu inneren Konflikten zwischen diesem anregenden, doch zeitraubenden Studentenleben und dem Anspruch sich wieder mehr der Beschäftigung mit theologischen und anderen Inhalten zu widmen. So musste er sich nach einigen Wochen eingestehen, dass das, wovon er geträumt hatte, nicht eingetreten war. Mit bitterem Gefühl sah er seine Berufspläne als Privatdocent, Lehrer oder Prediger weiter entfernt als je zuvor. Außerdem hatte er Heimweh nach Bonn.

Doch er musste jetzt durchhalten und er arrangierte sich. Ein kleines Abenteuer, über das er seinem Vater am 3. Februar 1842 berichtete, mag zu einer Aufhellung der Stimmung beigetragen haben:

"Es scheint mir, daß ich das Praktische des Universitätslebens recht durchmachen soll; denn diesen Brief schreibe ich im Hotel zum abgefaßten Studio, oder im Gasthof zur akademischen Freiheit, kurzum im dritten Stock des Jenensichen Carcers. Die Geschichte ist kurz diese. Beim Neujahrsfeuer auf dem Markte hatte ich mich gehütet, irgendwie thatsächlich Antheil am Randal oder am Tumultuiren zu nehmen. Als nun unser Urtheil publicirt wurde, decretirte man den Uebrigen, die des Antheils geständig waren, sechs Tage Carcer, mir und einigen Andern aber, nach § 101, weil wir dagewesen wären, die nämliche Strafe. Mein gesundes Rechtsgefühl sträumte sich bedeutend dagegen. Ich ging also zum Prorector (Baumgarten-Krusius) und erklärte ihm, daß ich auf dies Urtheil hin mich der strafe nicht unterziehen werde, inde, ich mein Ehrenwort geben könne, daß ich nicht schuldig sei. Er war ungemein freundlich, bat mich aber inständig, ja nicht zu widerstreben, da es durchaus nichts helfen werde. Er erbot sich sogar zweimal, mir einen Brief an Dich mitzugeben und darin Alles zu exponiren. Da ich aber wußte und ihm auch sagte, wie ich in dieser Hinsicht mit Dir stehe, schlug ich es ab. Der Aufenthale hier ist übrigens ganz angenehm. Vier von uns sind außer mir hier, wir wohnen zusammen, trinken Morgens mit einander Kaffee, dann wird gelesen, gezeichnet, gemalt, geschrieben bis Mittag. Nach Tisch treiben wir allerlei Allotria, nach dem Kaffee kommt Besuch - denn das 'geschärft' wird nicht genau genommen. Hierauf spiel man Cerevis und andere Bierspiele. Jeder erhält nämlich von der Verbindung täglich sechs Flaschen Bier geliefert, da für uns fünf aber dem Gesetze nach nur zehn heraufgeschafft werden dürfen, müssen die übrigen eingeschmuggelt werden, und erst gestern Abend zogen wir einen ganzen Korb voll an einem Strick ins's dritte Stock zu uns ..." (Lebensbild S. 54)

Im selben Brief berichtete er seinem Vater vom grandiosen Stiftungcommers Ende Januar im Schloss Dornburg. Er hielt eine bemerkenswerte Rede, die bei den Kommilitonen Bewunderung auslöste.

Es gelang ihm zunehmend besser, Burschenherrlichkeit und Studium miteinander in Einklang zu bringen. Auf der einen Seite hatte er Anfang März sein erstes Duell, auf der anderen Seite begann er eine Predigt zu schreiben.

In den Osterferien 1842 überraschte er seine Eltern und Geschwister mit neuem Outfit. Nicht nur sein jüngerer Bruder Friedrich war mächtig beeindruckt:

"Dem angehenden Tertianer in der kleinen Residenz machte das Erscheinen des stattlichen Studenten mit der farbigen Mütze, den langwallenden dunklen Locken, dem altdeutschen Rock und dem schwarz-roth-goldenen Band großen Eindruck. Mit Staunen erfüllten das mitgebrachte studentische Kampfschwert (der sogenannte 'Pariser>') und die mächtigen Kanonenstiefel, die Silhouetten burschenschaftlicher Koryphäen, die Pfeidenköpfe mit mystisch verschlungenen Anfangsbuchstaben, die Erzählungen von studentischer Verwegenheit und Herrlichkeit, die sich an alle diese Symbole knüpften." (Lebensbild S. 56)

In Detmold bekam er Besuch von Matthias Claudius, dem Enkel des durch den "Wandsbecker Boten" bekannten Matthias Claudius, mit dem Theodor sich in Jena angefreundet hatte, auch er Mitglied der Burschenschaft auf dem Fürstenkeller. Claudius gab Theodor den Freundesnamen 'Manuscha' (Sanskrit: Mensch) und Theodor nannte den Freund 'Scarabäus'. Täglich veranstalteten sie Fechtübungen auf dem Rasenplatz vor dem Hause des Generalsuperintendenten Althaus.

Während dieses Aufenthaltes in Detmold hielt Theodor seine erste Predigt im benachbarten Dorf Heiligenkirchen, wohin er an einem Sonntag Morgen zusammen mit Friedrich durch Felder und Wiesen wanderte. Der jüngere Bruder hörte ihn zum ersten Mal öffentlich reden und war beeindruckt und stolz, weil Theodor bis zum Vaterunser am Schluss die Aufgabe ohne Fehler bewältigte.

Als er in der letzten Aprilwochen nach Jena zurückkehrte, freute er sich, seine Freunde vom Fürstenkeller wiederzusehen. Er zog um vom Markt in den Fürstengraben, in ein Zimmer mit Blick ins Grüne, wo ihn die Sonne nicht blendete. Hier hoffte er besser arbeiten zu können, wie er seinem Vater schrieb:

"Allerdings wohnt fast ein Dutzend von unsern Leuten, und unter ihnen mehrere Randalirfüchse, beben und unter mir; ich schließe aber jedesmal, wenn ich an die Arbeit gehe, die Thür ab, und das Endresultat ist: ich habe Lust am Arbeiten, kann arbeiten und arbeite." (Lebensbild S. 60)

Doch auch die Burschenherrlichkeit war nicht abgeschrieben. In seinem Tagebuch notierte er, dass man im "Hof zur Sonne" für den verehrten August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874) das Lied 'Kennt ihr das Land' gesungen hatte. Antwort und Dank des Gefeierten war ein Gedicht:

Jugend hat auch ihre Rechte,
Aber Fluch sei dem Geschlechte,
das nicht ehrt der Jugend Rechte
(Lebensbild S. 58)

Außerdem zog sich Theodor bei einem Duell eine ziemlich starke Verletzung zu, die ihn sogar für eine Zeit sozusagen außer Gefecht setzte. Erst Ende Juni war er so weit wieder genesen, dass er an zusammen mit seinen Brüdern von der Burschenschaft am mehrtägigen Erinnerungsfest für die thüringischen Krieger teilnehmen konnte. Als endlich der Schluss des Studienjahres in Jena gekommen war, hielt Theodor als Sprecher all derer, die nach dem Semester Jena verließen, eine Rede beim letzten Commers auf dem Fürstenkeller:

"Ich sage euch ein Lebewohl, meine Brüder. Ich sag' es euch im Namen derer, die mit mir von euch scheiden, ich rufe es euch aus eigenem bewegten Herzen zu. Viele werden kaum wieder in diesem Kreise erscheinen, auch ich wage nicht, es zu hoffen. So gilt denn dies Lebewohl Allem, was wir hier zurücklassen. Noch steht wir hier treu vereint, wie wir zusammenstanden, so lange wir hier weilten; noch sehen wir die Freunde, mit denen wir strebten, und unser Auge ruht noch mit Stolz und Begeisterung auf den Zeichen der Burschenherrlichkeit, die uns umgeben. Desto mehr aber ergreift uns Wehmuth, wie können nicht lassen von dem Gedanken, daß zum letztenmal der Baum der Freiheit und die aufgehende Sonne des Vaterlandes hier sichtbar vor uns als Zeichen des Bundes schweben. Wohl hoffen wir, treu zu bleiben und, wenn auch der letzte Glanz des Burschenlebens geschwunden ist und die Töne, die unsre Worte weihend begleiten, verhallt sind, uns noch in Erinnerung an Das, was wir besaßen, glücklich zu fühlen; wur trauen fest darauf, daß wir auch das Andere drangeben werden, um im Leben für unsre Ideen zu wirken. Aber der Gedanke, wie herrlich unser Leben in eurer Mitte, wie erhebend unser gemeinschaftliches Streben für ein Ziel war und wie der Fürstenkeller und die Burschenschaft als ein Moment unsres Lebens uns an's Herz gewachsen sind, kann uns jetzt jene Freudigkeit nicht verleihen, er läßt uns um so bitterer empfinden, was es heißt, von Jena und von hier zu scheiden. Und doch muß für Jeden Etwas sein, was der Trennung die Weihe gibt, woran wir uns halten, ein leuchtend Panier, das uns in der Zukunft vorschwebt, zu dem wir um Trost aufblicken. Wer sich der Burschenschaft hingibt mit Leib und Seele und Burschenschafter ist wie er' heißt, den begleitet jenes Eine sein Leben lang, den soll jener Glaube und jenes Bewußtsein über alles hinwegheben, was den Weg zum Ziele hemmt; das Eine aber ist: der Glaube an den Sieg des Guten. Wahrlich, ohne den wüßte ich keinen Trost zu gewinnen. Nennt's wie ihr wollt, den Sieg dr Vernunft, den Sieg der Menschheit, den Sieg des Guten. Wer diesen Glauben nicht im Traum und Schwärmen, sondern klar und bewußt in sich aufgenommen hat, wem dieser Glaube hall wie ein Licht von oben in Geist und Herz gedrungen ist, der vermag auch einer solchen Trennung Schmerz zu ertragen, denn er hat einen Talisman, der ihm nicht geraubt wird. In diesem Glauben hoffen wir den Freiheitstag zu schauen, in ihm blicken wir fest und unverwandt zum Himmel auf, da sehen wir die Morgenröthe - o so laßt uns hoffen, daß die Sonne bald aufgeht und daß in ihren Strahlen das offene Wort, das offene Recht, das freie Reich erblühen wird. Und wenn uns jetzt Wehmuth ergreift und wir weinen möchten wie die Kinder, so laßt uns jauchzen wie Männer: der Sieg des Guten!"  (Lebensbild S. 63-64)

 
     
     

Biografie ist als Taschenbuch erschienen...

 

Biographie in der Kindle Edition erschienen:

Leseprobe hier:

 text und byte 

 

Texte von Theodor Althaus beim Aisthesis Verlag Bielefeld:

AlthausLesebuchAisthesis2010.htm

www.aisthesis.de

 

 

 

 

Wer war Theodor Althaus?

1822-1840: Kindheit und Jugend in Detmold

1840-1843: Studium in Bonn, Jena, Bonn, Berlin

1843, 1844, 1845: Jahre im Detmolder Elternhaus

1846: Zukunft des Christenthums, Harzreise, Rheinfahrt im August

1847: Detmold, Leipzig

 

 

Texte von Theodor Althaus:

Theodor Althaus, Der Heidelberger Katechismus und die kirchlichen Kämpfe im Fürstenthum Lippe, Bremen 1845
Theodor Althaus, Eine Rheinfahrt im August, Bremen 1846
Theodor Althaus: Die Zukunft des Christentums, Darmstadt 1847
Theodor Althaus, Mährchen aus der Gegenwart, Leipzig 1848
Theodor Althaus, Aus dem Gefängniß Deutsche Erinnerungen und Ideale, Bremen 1850
Theodor Althaus, Zeitbilder 1840 - 1850, Hg. von Renate Hupfeld, Aisthesis Verlag Bielefeld 2010

Veröffentlichungen über Theodor Althaus:

Friedrich Althaus, Theodor Althaus. Ein Lebensbild, Bonn 1888
Malwida von Meysenbug, Memoiren einer Idealistin, Erster Band, Volksausgabe,  Schuster & Löffler, Berlin und Leipzig 
Dora Wegele, Theodor Althaus und Malwida von Meysenbug, Zwei Gestalten des Vormärz, Marburg/Lahn 1927
Annegret Tegtmeier-Breit, Theodor Althaus, Enfant terrible der Detmolder Gesellschaft in: Lippe 1848, Von der demokratischen Manier eine Bittschrift zu überreichen, Lippesche Landesbibliothek Detmold 1998

 

 

 

Text und Fotos:

©Renate Hupfeld

Letztes Update:

07.11.2011

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