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Theodor Althaus im Jahr 1846

"Zukunft des Christenthums" - Harzwanderung - "Rheinfahrt im August"

©Renate Hupfeld
 

 

Während der Winter- und Frühjahrsmonate des Jahres 1846 war Theodor Althaus intensiv mit der Niederschrift einer umfassenden Schrift beschäftigt. Das Werk "Die Zukunft des Christenthums" wurde ein Jahr später gedruckt. Schon der Titel  gibt einen Hinweis auf die Intention des Autors. Er wollte seine Einschätzung der gegenwärtigen Situation zusammenfassen, sowie seine Zukunftsvisionen einer besseren Welt darstellen.

"Er schrieb es in raschem, begeistertem Zuge, meist in den langen Nächten, oder in der Stille früher Morgenstunden, ehe der Tag graute. Es entsprang dem tief von ihm empfundenen Bedürfniß: der Weltansicht, welche Studien und Lebenserfahrung in ihm gereift hatten, einen zusammenfassenden Ausdruck zu geben, den verworrenen Kämpfen der Gegenwart ein Ziel, ein Ideal der Zukunft gegenüberzustellen, in welchem die streitenden Elemente der zerfallenden und der werdenden Welt sich zu einer höheren Einheit versöhnten. Er selbst hatte diese Kämpfe in sich durchgemacht. Bis in die innersten Tiefen seines Wesens war er durchdrungen von der großen Thatsache des welthistorischen Umschwungs, der sich in unsern Tagen im Geiste wie in den Lebensformen der Menschheit allerorten vollzieht; und mit Schmerzen fühlte er sich als den Sohn einer zerrissenen, frivolen, ungläubigen, indifferenten Zeit, aber auch mit Hoffnung als den Mitkämpfer einer Epoche, die unaufhaltsam einer besseren Zukunft entgegendrängt..." (Lebensbild S. 125)

Das Werk "Die Zukunft des Christenthums" ist in drei Abschnitte aufgeteilt:

I. Die Wahrheit des Christenthums

Zu dem Abschnitt schreibt Friedrich Althaus:

"Was zunächst  d i e  W a h r h e i t  des Christentums betrifft, so findet der Verfasser diese in keiner der von den bestehenden Kirchen oder Sekten vertretenen Ansichten...Für ihn liegt die Wahrheit des Christentums nicht in seinen Lehren, sondern in seinen Grundsätzen...von der Einheit des Menschen mit Gott und von der Alleinherrschaft der Freiheit und der Liebe..." (Lebensbild S. 126)

Mit den Worten von Theodor Althaus heißt das:

"...der Himmel ist überall, und Gott ist die Einheit der Liebe und Freiheit, die eine Kraft, die des Menschen ganzes Wesen allgewaltig durchpulst...Und diese christliche That der Verkündigung der Einheit der Menschheit mit Gott in Freiheit und Liebe war nicht ein nur einmal Geschehenes und dann Vergangenes, noch war es ihr Zweck, bloß den Geist des einzelnen Menschen zu befreien, oder bloß im Himmel des Gedankens zu verharren; sie trug vielmehr in sich den Keim und Drang zur Welterlösung, zur wirklichen Herstellung des Reiches Gottes auf der Erde." (Lebensbild S. 127)

II. Seine Verkehrung

Zu diesem Abschnitt interpretiert Friedrich Althaus die Ausführungen seines Bruders:

"...Die Grundsätze wurden vergessen oder verkehrt; der Glaube wurde in ein spitzfindig ausgeklügeltes theologisches System gebracht und auferlegt als zwingendes Gesetz, an dessen unbedingte Anerkennung Seligkeit und Verdammniß sich knüpften; das Befürfniß der Einheit der Kirche, gegenüber einer feindlich zerrissenen Welt, rief die katholische Hierarchie ins Leben, als deren Haupt, statt des Geistes der Freiheit und der Liebe, der unfehlbare Papst despotisch herrschte. Die Verwirklichung des Gottesreichs in der Menschheit wurde für die privilegirte Hierarchie in die Kirche, für die Masse der Menschen von der Erde in ein himmlisches Jenseits verlegt...Ja, das von Christus gepredigte Gottesreich nahm im Protestantismus eine noch jenseitigere Gestalt an als in der katholischen Kirche, und w#hrend diese ihre rebellische Tochter an werkthätiger Liebe weit übertraf, schmiedeten die protestantischen Theologen zugleich der Freiheit neue Fesseln, aus denen es jahrhundertelanger Kämpfe bedurfte, sie zu erlösen;..." (Lebensbild S. 129/130)

III. Wiedergeburt durch Freiheit und Liebe

Von der Wiedergeburt des Christentums hat Theodor Althaus genaue Vorstellungen. Er schreibt:

"...Die Welt ist noch christlich, meint es noch zu sein. Sie muß das Christenthum erst erkennen als Christenthum. Es muß sich nothwendig noch mit diesem Namen und in dieser Form der Kirche verkörpern und die Welt zur Erkenntniß seiner Einheit mit dem Menschenthum durch den Kampf mit dem Alten heranbilden. In einer wahrhaft menschlichen Gesellschaft mag ein solcher Mittelpunkt als besondere Form vielleicht überflüssig sein; aber in unsern Zuständen, welche durch Geld, Rang und Bildung darauf berechnet sind, den Menschen vom Menschen zu trennen, kann er im Großen und Ganzen durch nichts Anderes ersetzt werden. Die freie Kirche allein kann dies Verlangen befriedigen, kann den ganzen vollen Menschen erfassen; all seine Bethätigung in Staat, Gesellschaft, Kunst, Wissenschaft, all sein sittliches Streben, seinen Kopf und sein Herz kann ihr Prediger zusammenschmelzen und in  d i e  E i n h e i t  der Anschauung verklären. Die religiöse Rede hat noch eine ganze Zukunft vor sich, die, wo sie von der menschlichen und irdischen Heiligkeit, von der Religion der That und des ganzen Lebens redet..." (Lebensbild S.131)

"Gott ist in der Freiheit, und nicht in den Buchstaben, auch nicht in den  G e d a n k e n  der Schrift gebannt..." (Lebensbild S. 134)

Viele Bereiche des kirchlichen Lebens werden von dem Theologen Althaus angesprochen, wie zum Beispiel die Regeln des Zusammenlebens in einer Gemeinde, Bräuche, Sakramente, Gebete und als glänzender Prediger hat er selbstverständlich auch spezielle Gedanken zum Thema Predigt.

"Aus der Freiheit des Glaubens in der neuen Kirche ergibt sich naturgemäß, daß sie vollen Ernst macht mit der Gewissensfreiheit...Jede Gemeinde ordnet daher ihren Gottesdienst, wählt ihre Prediger und Armenpfleger, stellt die Regeln ihrer Verwaltung fest..." (Lebensbild S. 140)

"Die Predigt der freien Kirche hat vor Allem den Zweck, aus der Zerstreuung der Alltäglichkeit zu sammeln zum Gefühle der Einheit des menschlichen Wesens." (Lebensbild S. 147)

"Das Ziel der Predigt ist der Mitbau am Reiche Gottes auf Erden, und so hat sie zum Gegenstand und Inhalt das ganze Menschenleben, in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie hat die Aufgabe des Kampfes gegen das alte verkehrte Christenthum und zugleich die Aufgabe der Versöhnung zwischen dem Alten und dem Neuen: die Auflösung und die Erfüllung. Während sie daher auf die Bibel und die aus dieser entsprungene Weltanschauung das volle Licht einer vorurtheilslosen Kritik fallen läßt , und deren Widersprüche und Unvereinbarkeiten aufdeckt, vergißt sie doch nie, daß in der That Christi die ewig menschlichen Grundsätze der Freiheit, welche alle unwahren Formen zerstört, und der Liebe, welche die Menschheit zum Reiche Gottes vereinigt, zuerst offenbar geworden sind, und knüpft an diese den Nachweis von der Nothwendigkeit der Wiedergeburt des Christentums..." (Lebensbild S. 148)

Friedrich Althaus würdigt das Erstlingswerk des seinerzeit 23 Jahre alten Bruders treffend, wenn er schreibt:

"Es hat in dieser Lebensgeschichte als biographische Thatsache seinen Platz gefunden und mag als solche, so wie es ist, sich selbst vertreten. Für Theodor persönlich war dies volle unumwundene Aussprechen seiner Gedanken über die gegenwärtige Lage und die künftigen Aussichten Deutschlands und der Menschheit eine beglückende Befriedigung. Er hatte darin den Grundton seines innersten Wesens angeschlagen, und wenn die Zeitverhältnisse später seinen Gedanken eine andere Färbung verliehen, so war es in Wahrheit doch immer das hier entwickelte Ideal einer von Freiheit und Liebe beseelten menschlichen Gemeinschaft, das allem seinem Streben und Thun als Leitstern voranleuchtete." (Lebensbild S. 161)

Malwida von Meysenbug: Blick auf die Grotenburg  südwestlich von Detmold mit dem Sockel des Hermannsdenkmals im Jahre 1846

Ende Mai des Jahres 1846 war die Schrift "Die Zukunft des Christenthums" fertig gestellt. Am 31. des Monats, einem Pfingstsonntag, unternahm Theodor zusammen mit seinem Bruder Friedrich, seiner Schwester Elisabeth und deren Freundin Malwida von Meysenbug eine Wanderung zum fast fertig gestellten tempelartigen Sockel des Hermannsdenkmals auf der nahe Detmold gelegenen Grotenburg, wo sich an diesem strahlenden Maitag auch andere Pfingstausflügler eingefunden hatten. Die vier jungen Menschen schauten von der Höhe hinunter auf die Teutoburger Berglandschaft und die Heide- und Moorebene der Senne herab und erlebten angesichts dieser friedlich stillen Welt eine feierliche Stimmung. Friedrich Althaus erinnert sich:

"...Nur der Gesang der Vögel unterbrach dann und wann die Stille. Plötzlich erschallten aus einem der Dörfer im Thale die Kirchenglocken, und indem ihre Klänge, von der Morgenluft getragen, zu uns herübertönten, wurde in unserem kleinen Kreise der Wunsch laut: Theodor möge dieser Festmorgenstunde in einigen Worten Ausdruck geben, die dem Geist des Ortes, an dem wir uns befanden, entsprächen. Nach einigem Bedenken willigte er ein und das Haupt entblößend und sich zuerst an die Bauern wendend, fing er an, ohne Feierlichkeit im Ton, aber mit erhobener Stimme, zu reden von dem Gotte, der nicht in Tempeln wohne von Menschenhänden gebaut, von der Andacht, welche das Herz erfülle, wo nur der reine unbegrenzte Himmel uns ein Sinnbild des Heiligen und Unendlichen sei. Dann übergehend zu dem Fest der Ausgießung des heiligen Geistes, schilderte er diesen Geist als den Geist der weltüberwindenden Freiheit und Liebe, der berufen sei zum Bau des Reiches Gottes auf der Erde. Auch inmitten der kleinen Gemeinde, die sich durch Zufall hier zusammengefunden, sei dieser Geist gegenwärtig. Das Denkmal, auf welchem wir versammelt seien, vergegenwärtige das Gedächtniß einer großen Freiheitsthat des deutschen Volkes: der Geist der Liebe bethätige noch immer, wie einst in den frühesten christlichen Gemeinden, sein Apostelamt, und der Glaube an seine Macht müsse auch uns mit der Zuversicht erfüllen, daß die Zeit kommen werde, wo die Menschheit ein Volk von Brüdern, wo das göttliche Reich der Freiheit und er Liebe Wahrheit und Wirklichkeit geworden sei. Die kleine Versammlung lauschte andächtig seinen Worten. Es war wie eine Rede gehalten im Sinne der "Zukunft des Christenthums", vor einer sich bildenden freien Gemeinde, und die äußeren Umstände, wie die Begeisterung, mit der er sprach, das prophetische Feuer, das aus seinen Augen leuchtete, machten diese Pfingstmorgenstunde unvergeßlich." (Lebensbild S. 162/163)

Eine knappe Woche später machte Theodor sich auf den Weg zu einer Wanderung in den Harz. Von Detmold aus ging er zu Fuß nach Pyrmont und verweilte zwei Tage bei der Familie seines Onkels, einem Förster, in einem nahe gelegenen Dorf in den Bergen. Am Sonntagmorgen brachte ihn ein Pony über die Hämelsche Burg nach Hameln und von dort ein Einspänner nach Hannover, wo er am Abend des nächsten Tages einer Opernaufführung mit der damals als 'schwedische Nachtigall' bekannten Sängerin Jenny Lind beiwohnte. Darüber und über die weitere Reise berichtet er seinen Eltern in einem Brief vom 10. Juni 1846:

"Dienstag fuhr ich nach Braunschweig, von da per Eisenbahn nach Harzburg. Nach etlicher Rast stieg ich auf die Burg und da ich mir die Richtung, in der Ilsenburg liegt, hatte sagen lassen, beschloß ich oben, auf irgend einem Fußwege interessant auf die Landstraße nach Ilsenburg zu gelangen. Kein Mensch da, also keiner gefragt, genirte auch nicht. Bald hört aller Weg ganz auf; ich komme in ein wildes romantisches Thal, weglos, freue mich am Bach...Als es zum drittenmal (regnen) wollte, war da ein Dorf, hieß Stapelburg, fiel hinein...Heut morgen von dort weiter. Wieder ein bischen naßgeregnet; schlechte Aussichten - ich denke aber; nur erst nach der Ilse! und spaziere fort. herrliches Wetter, etwas bedeckt, vortreffliche Kühle am Wasser. Bin mit Entzücken 7 - 8 Stunden herumgelaufen: auf dem Ilsenstein, unten, auf Klippen und Felsen, wo ich Lust hatte, und ich hatte viel. Nach den Wasserfällen - meinte zuletzt, ich müsse wohl drei Stunden von Ilsenburg sein; sieh' da war's nur eine einzige, und ich hatte es nicht gemerkt. Bin auch nicht mal müde, so wunderkühl war es; viel Sonnenschein dazwischen, fand alle Wege von selbst, poetisirte, kletterte - summa, bin sehr glücklich und wohlauf gewesen und noch." (Lebensbild S. 165/166)

Dieses Jahr 1846 erfreute die Menschen mit ungewöhnlich herrlichem Sommerwetter und für Theodor Althaus war es ein Sommer voller Hoffnung und Zuversicht. Auch der Erfolg blieb nicht aus. Nach der Harzwanderung setzte er sich wieder an den Schreibtisch seiner Studierstube im Detmolder Elternhaus und überarbeitete das Manuskript "Die Zukunft des Christenthums" und fand auch tatsächlich einen Verleger, es war Leske in Darmstadt. Bevor er sich nach getaner Arbeit noch einmal auf die Reise begab, hielt er auch in diesem Jahr wieder eine Predigt, diesmal in dem nahe gelegenen Städtchen Lage. Seine Schwester Elisabeth berichtet darüber in ihrem Tagebuch:

"Er fuhr an dem heißen Tage früh mit der Post hinaus; mein Bruder Friedrich und ich gingen durch Wald- und Wiesenwege nach. Wir sahen ihn erst in der Kirche wieder, wo ich ungekannt unter den Bauerfrauen sitzend, in der schlichten protestantischen Dorfkirche das selige Gefühl, dem Redner und seinen Gedanken ganz anzugehören, doppelt genoß. Er hatte sich den Text gewählt von den Arbeitern im Weinberge, wo Alle den gleichen Lohn empfangen wollen, auch die später, ja die erst in der elften Stunde Gekommenen. Es war seine letzte Predigt, denn nun brach es durch alle Dämme: die Liebe muß an die Stelle des hergebrachten Rechts treten. Alle müssen mitarbeiten zur Verwirklichung des Reiches Gottes und als Mitarbeiter die Früchte der Erde genießen. Einerlei, ob man uns Volksverführer, Schwärmer, Atheisten und Communisten schilt, ob man uns von den Kanzeln zu verdrängen sucht, wir rufen laut in alle Welt hinaus die Rechte des freien Menschen, die Rechte Aller auf Glück und Genuß und die Güter dieser Erde. So warf er mit flammendem Auge under tiefsten Herzenserschütterung sein neues Glaubensbekenntniß in diese enge, stille Welt..." (Lebensbild S. 171)

Im Anschluss an diese Predigt verweilten die Geschwister noch eine Weile im Hause und Garten des Predigers von Lage, bis die Hitze des Sommertages ein wenig abgeklungen war. Elisabeth Althaus schreibt über die Träume ihres Bruders:

"...Von der Predigt und ihren Gedanken angeregt, ergingen wir uns in Zukunftplänen, die schon öfter von uns besprochen waren, aber an diesem Nachmittag in's Bestimmteste ausgemalt wurden. Theodor wollte Landprediger werden. Die kleinste, schlechteste Pfarre sollte uns gerade recht sein - denn ich ging natürlich mit. Er predigte, lehrte, in Kirche und Schule; ich wurde seine Helferin überall. Sonntagsschulen, Pflegevereine, die Seelsorge in den Hütten, bei Frauen und Kindern übernahm ich und um gleich mit dem Ersten, Nothwendigsten anzufangen - er und ich beschränkten uns auf die kleinsten Räume im Hause und alle übrigen Zimmer wurden für die Armen des Dorfes, für die Kranken, die Obdachlosen eingerichtet. Wir wollten zeigen, daß der ärmste Bettler erst recht unser Bruder sei und diese Brüderlichkeit und Freiheit sollte der Grund unseres ganzen Lebens sein..." (Lebensbild S. 172)

In all seinen mündlichen und schriftlichen Äußerungen war Theodors Gedankenwelt und seine Stimmung in diesem Sommer geprägt von dem Glauben, dass vieles verkehrt lief in seinem Land, vor allem angesichts von Hunger und Armut großer Bevölkerungsteile und dagegen einigen Reichen, denen es an nichts fehlte. Dieser Glaube war gepaart mit der festen Hoffnung, dass die Welt sich sehr bald zu einer besseren ändern würde, ja müsse.

Mitte August ging er noch einmal auf die Reise. Es zog ihn an den von Frankreich als Ostgrenze beanspruchten Fluss, der zu jener Zeit in patriotischen Liedern als Sinnbild des deutschen Nationalgefühls unter dem Motto "Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein..." leidenschaftlich besungen wurde. In Köln traf er Karl Heinrich Brüggemann und Levin Schücking von der "Kölnischen Zeitung" und in Bonn besuchte er Gottfried Kinkel. Über das Treffen mit Kinkel erinnert er sich vier Jahre später im Gefängnis:

"...Mit einem Freunde, der später unter den Revolutionären hervorragte,saß ich damals in einer der lieblichsten Rheingegenden, deren sanfter Abendglanz ihm das Bekenntniß entlockte: daß eigentlich auch unser freies Selbstbewußtsein nicht das Letzte und Höchste des innern Menschenloebens sei, sondern einst sich in das bloße Naturbewußtsein auflösen müsse. Ich meinte einen Romantiker aus den dunkelsten Jahren der politischen Apathie zu hören; es war aber nur der Dichter, der diese Worte sprach, ohne zu ahnen, wie bald die Kerkerluft so manchen Augenblick sein freies Selbstbewußtsein in dumpfes Naturbewußtsein - Vegetiren - niederdrücken werde." (Lebensbild S. 173)

Weiter schreibt Theodor in seinen Erinnerungen an die Rheinfahrt:

"Mir selbst erschien damals - es war im gesegneten Weinjahr 1846 - der Rhein nicht wie einst, unter den patriotisch einfachen Klängen des Rheinliedes, nur in der alten deutschen Herrlichkeit, deren Lieder sich zwischen Strom und Dom und Wein und Rhein bewegen. An dem Morgen, als ich zum erstenmal wieder hinauffuhr, erschrak ich, als er mich nicht mehr reizte und ich mich so verändert fühlte. Freilich, aus dem idealisch germanischen Lächeln der hohen Braut, der Freiheit, die uns gleichsam nur zu erhöhter Lust den Wein kredenzte, war nun schon ein Lächeln wie Wetterstrahl geworden, das mit dämonischem Zuge sprach: Du  m u ß t  mir folgen. Und statt der holden Genienschaar mit den Kränzen der Freude und dem Lorbeer eines patriotischen Soldatentodes waren alle Gestalten des Weltenelends, das damals auch der deutschen Welt von Frankreich her zum Bewußtsein kam in ihrem Gefolg. Ein schaudernder Kontrast - eine dumpfe Stimmung, Träume vom jähen Zusammenkrachen des ganzen Baues unserer gesellschaftlichen Welt!..." (Lebensbild S. 173)

Mit dem Schiff fuhr er den Rhein hinauf bis Bingen und unternahm von dort aus Wanderungen in die Umgebung, wie zum Beispiel auf die Ebernburg bei Bad Münster am Stein, ein Ausflug, den er in der Erzählung "Herberge zur Gerechtigkeit"  literarisch bearbeitete. Erlebnisse und Eindrücke dieser Reise inspirierten ihn zu einem längeren Gedicht "Eine Rheinfahrt im August":

"Die Wolken ziehn, das Dunkel schweigt, im Osten graut es kaum von fern;
Zuweilen auf den Wellen blitzt vorbei ein rasch verhüllter Stern;
Die Welle rauscht - und grüßt mich nicht, und stumm dahin zu Schaum zerstiebt,
Als hätt ich nie den Rhein gesehn, und hätt' ihn nie so sehr geliebt."

Dieser ersten Strophe folgen 95 weitere Vierzeiler, in denen es um wunderbare Sonnenuntergänge in herrlicher Flusslandschaft, gute Begegnungen, romantische Träume und Zukunftsvisionen, aber auch um Weltenelend, stummes Blut, Eisenfaust, Angst, Not und Tod geht.
 


 

Im September 1846 wurde "Eine Rheinfahrt im August" im Verlag der Bremer Weserzeitung veröffentlicht. In dem Zusammenhang bekam Theodor Althaus eine Einladung zu einem persönlichen Gespräch in die Redaktion dieser liberalen norddeutschen Zeitung nach Bremen, der er auch nachkam. Man bot ihm mit sofortiger Wirkung einen Halbjahresvertrag für eine Mitarbeit an. Er nahm das Angebot an, bot es ihm doch eine willkommene Gelegenheit, endlich sein Elternhaus in Detmold zu verlassen und  in anderen Gegenden berufliche Perspektiven zu suchen.

Zwei Faktoren hinderten ihn daran, das Vorhaben auszuführen. Er wurde für längere Zeit krank und konnte nicht nach Bremen umsiedeln, um dort mit der journalistischen Arbeit zu beginnen. Außerdem gab es Probleme mit der Zensur im Zusammenhang mit der Publikation von "Eine Rheinfahrt im August", was dazu führte, dass die Bremer Weserzeitung Theodor Althaus bat, den Beginn seiner Mitarbeit auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Was die preußisch Zensurbehörde dazu bewog, das Werk zu verbieten, war weder seinerzeit für den jungen Autor noch sind die Gründe heute nachvollziebar. Die in seinem Nachruf von Otto Gildemeister von der Bremer Weserzeitung besonders erwähnte Richtigstellung von Theodor wurde nicht angenommen. Vorstellbar, dass der kritische Geist durch seine vorherigen Publikationen in den Kreisen der Zensoren von vorn herein verdächtig war und jede seiner Äußerungen auf die Goldwaage gelegt wurde.

 

 
 

Biografie ist als Taschenbuch erschienen...

Texte von Theodor Althaus beim Aisthesis Verlag Bielefeld:

AlthausLesebuchAisthesis2010.htm

www.aisthesis.de

 
 
     



 

 

 

Wer war Theodor Althaus?

1822-1840: Kindheit und Jugend in Detmold

1840-1843: Studium in Bonn, Jena, Bonn, Berlin

1843, 1844, 1845: Jahre im Detmolder Elternhaus

1846: Zukunft des Christenthums, Harzreise, Rheinfahrt im August

1847: Detmold, Leipzig

1848: Revolutionsjahr

1849: Im Gefängnis

1850: Aus dem Gefängnis

1851: Freiheit?

1852: Letzte Monate

 

 

 

Texte von Theodor Althaus:

Theodor Althaus, Der Heidelberger Katechismus und die kirchlichen Kämpfe im Fürstenthum Lippe, Bremen 1845
Theodor Althaus, Eine Rheinfahrt im August, Bremen 1846
Theodor Althaus: Die Zukunft des Christentums, Darmstadt 1847
Theodor Althaus, Mährchen aus der Gegenwart, Leipzig 1848
Theodor Althaus, Aus dem Gefängniß Deutsche Erinnerungen und Ideale, Bremen 1850
Theodor Althaus, Zeitbilder 1840 - 1850, Hg. von Renate Hupfeld, Aisthesis Verlag Bielefeld 2010

Veröffentlichungen über Theodor Althaus:

Friedrich Althaus, Theodor Althaus. Ein Lebensbild, Bonn 1888
Malwida von Meysenbug, Memoiren einer Idealistin, Erster Band, Volksausgabe,  Schuster & Löffler, Berlin und Leipzig 
Dora Wegele, Theodor Althaus und Malwida von Meysenbug, Zwei Gestalten des Vormärz, Marburg/Lahn 1927
Annegret Tegtmeier-Breit, Theodor Althaus, Enfant terrible der Detmolder Gesellschaft in: Lippe 1848, Von der demokratischen Manier eine Bittschrift zu überreichen, Lippesche Landesbibliothek Detmold 1998

 

 

 

Text und Fotos:

©Renate Hupfeld

Letztes Update:

27.05.2010

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