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„... Sie könnte jetzt anfangen zu tanzen, der Mann
nicht. Sein Gesicht, seine Haltung verraten, dass er traurig ist, so traurig wie
der Tango, der darüber trauert, dass man sich ständig verfehlt und dass es so
traurige Gestalten wie den Mann mit dem Bandoneon gibt, der sich seiner so
sicher ist, weil er glaubt, dass er Bescheid weiß, dabei weiß er überhaupt
nicht Bescheid ...“
Dieses Zitat aus der Kürzestgeschichte des argentinischen Autors Martín Kohan,
gefunden auf dem Cover der diesjährigen Buchmessenausgabe der ZEIT LITERATUR, vermittelt
mir auf seltsame Weise das gleiche Gefühl, wie ich es bei der Begehung der
Installation des diesjährigen Gastlandes der Frankfurter Buchmesse erlebe.
Es zieht mich immer wieder hinein in die Gänge zwischen halbtransparenten Stoffbahnen,
Bildern, Säulen,
Mauern, Wortbändern und Tönen. Verhalten gehe ich von Botschaft zu Botschaft, verweile
leicht schaukelnd auf einem fein gearbeiteten Holzsitz und lasse die Eindrücke auf
mich wirken, Arrangements aus rotbraunen Felsen und Wasserfällen, bizarre
Landschaften aus Eis, pulsierende Metropolen, Menschen in ihren
Lebenszusammenhängen, Fußballlegende Diego Maradonna und das groß
abgedruckte Konterfei von Che Guevara, so angebracht, dass es in der
Ausstellung fast von jeder Position aus zu sehen ist. Sein bolivianisches
Tagebuch und die olivgrüne Leinentasche haben es ebenso wie das Kleid von Evita
Peron in eine Glasvitrine geschafft. Ich erlebe
Vergangenheit und Gegenwart eines Landes, dessen Darstellung mich berührt und dessen Trauma auf eine unaufdringliche Weise präsent ist.
Nichts erdrückt mich, sondern alles macht mich neugierig und zieht mich weiter
hinein bis zu einer Mitte, wo an einer Mauer und an Stellwänden Fotos und
Namen der während der Militärdiktatur Verschwundenen und der verschenkten Kinder von
ermordeten Eltern zu sehen sind, die es gewagt haben, ein
Unrechtsystem zu kritisieren. An dieser Stelle verspüre ich
besonders stark diese eigenartige Traurigkeit wie beim Lesen des Textes von Martín Kohan, die niemanden und kein
Unrecht vergisst und nicht unglücklich macht,
sondern weich und offen, eine Traurigkeit, die hoffen lässt, doch einmal
Bescheid zu wissen. Diese Hoffnung haben auch die Großmütter der gestohlenen
Kinder nie aufgegeben, die sich seit mehr als drei Jahrzehnten jeden Donnerstag
auf der Plaza de Mayo treffen, sofern sie nach all den Jahren noch
dazu in der Lage sind, um gemeinsam nach den Kindern ihrer getöteten Kinder zu suchen.
Bei einigen hatte die Suche Erfolg, so wie bei der Großmutter
von Victoria Donda, die im Jahre 2004 ihr Enkelkind
aufgrund der Ähnlichkeit mit ihrer Tochter fand. Sie hat zwar nicht ihre ermordete Tochter wieder bekommen, doch
ihre Enkeltochter, als Baby an eine linientreue Familie verschenkt, ihrerseits auf der verzweifelten Suche nach ihrer wahren Identität. Victoria Donda hat ihre Geschichte aufgeschrieben und stellt das Buch
"Mein Name ist Victoria" nun am Verlagsstand auf der Buchmesse vor
(siehe Foto unten!). "Die Großmütter der Plaza de Mayo haben nie
aufgehört nach den restlichen Kindern zu suchen." steht unten auf dem
Plakat mit den vielen Namen geschrieben.
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