Frankfurter Buchmesse 2008
15., 16. und 17. Oktober
Auf der Fahrt im ICE lese
ich Orhan Pamuks Rede zur Eröffnungsfeier der Frankfurter Buchmesse 2008, die
sechzigste, meine vierte. Bevor ich mir seine Ausführungen über
den wohl immer noch andauernden 'Hang des türkischen Staates, Bücher zu
verbieten und Schriftsteller zu bestrafen' näher ansehe, bleibe ich an
seinen Erinnerungen an die Buchmesse des Jahres 1990 hängen: '...Ehrfürchtig
staunend ging ich von Halle zu Halle, von Stand zu Stand, genoss die
Mannigfaltigkeit der internationalen Verlagswelt und erwog zugleich, wie
schwierig es sein würde, in diesem Universum meine Stimme zu Gehör zu
bringen...´ Es war Pamuks erster Besuch auf der Frankfurter Buchmesse und
offenbar ist ihm das, was er seinerzeit für schwierig hielt, glänzend gelungen,
Nobelpreis, Friedenspreis und als Repräsentant des Gastlandes zur diesjährigen
Buchmesse Autor eines neuen Buches.
Im Shuttlebus nach dem Einchecken am Eingang City muss ich wieder an Pamuks Rede denken. Wie finde ich in diesem Universum von Hallen, Ständen, Foren und Büchern meine Programmpunkte, ohne in Feuchtgebieten zu versinken oder mich auf Bohlenwegen zu verlaufen? Bin ich ein Träumer, wenn für mich das Prinzip 'Berechtigung hat alles, was Quote bringt', nicht gilt? Dann wäre allerdings Denis Scheck auch ein Träumer, wenn er von einem dieser Quotenrenner meint, von 428 Seiten seien 427 zuviel. Da sitze ich nämlich nach dem ersten Schnuppergang durch Hallen, Gänge und über die Agora beim Cappuccino am Rande der ARD Fernsehbühne und erfahre, was 'druckfrisch' und lesens- oder nicht lesenswert ist. Ich frage mich nur, welche Seite er mit der einen Seite meint, die nicht zuviel ist und stelle fest, dass hin und wieder eine Sitzgelegenheit möglichst mit Cappuccino in der Nähe fast ebenso wichtig ist wie Inhalte. Beim Weiterschnuppern jenseits der Quotenprominenz finde ich mich dann im Lesezelt, wo es leider sehr übel riecht. Es spricht für den jungen Autor Benedict Wells, dass ich seine Lesung trotzdem bis zum Schluss durchhalte. Noch hier und da reinhören, Fotos machen und schon mal darüber nachdenken, was der nächste Tag bringt. Er beginnt am Bahnhof Kronberg, mit der S4 bis zur Messe. Aussteigen, Rolltreppe, Einchecken. Regen, das bedeutet leere Agora, volle Hallen, Gänge und Rolltreppen, knappe Sitzgelegenheiten, Schlangen beim Cappuccino. Highlight für mich: Hörprobe von den Stammheim Tonbändern, in der Ulrike Meinhof verzweifelt versucht, den Gerichtsmännern in Stammheim mitzuteilen, dass sie tief im Herzen nicht mehr hinter der Sache steht, ihr jedoch das Wort entzogen wird. Ich erlebe bei 3sat Martin Flügge, der fast ohne Zuhörer über eine glänzend recherchierte Biographie von Marta Feuchtwanger berichtet und amüsiere mich über Christine Westermann und Jörg Thadeusz beim blauen Sofa. Am nächsten und meinem letzten Messetag hält es mich vor dem gläsernen ARD Hörfunkstudio, Gerd Koenen im Gespräch über sein Che Guevara Projekt: Traumpfade der Weltrevolution. Hier wird mit Legenden aufgeräumt. Friedenskämpfer Guevara liebte den Krieg und verehrte Stalin? Seine letzte Lektüre Nietzsche, der Übermensch? Warum ging er in den bolivianischen Dschungel, wo doch von vornherein klar sein musste, dass es ein Zug in den Tod würde? Hatte er Todessehnsucht? War er gar nicht der Kämpfer für Gerechtigkeit und Freiheit, den so viele in ihm sahen und sehen? Trotz dieser tiefen Kratzer am Mythos bin ich seltsam berührt von Carlos Pueblas eingespieltem Kultsong 'Hasta siempre comandante' mit wunderschönen Gitarrenakkorden begleitet im kühlen Wind auf der sonnigen Agora. Es gäbe noch einiges zu
berichten, zum Beispiel von Cordula Stratmann, die erklärt, warum ein
Literaturpapst den ihm zugedachten Preis nicht annehmen kann, wegen der erhöhten Ansteckungsgefahr im fortgeschrittenen Methusalemalter
(denn wer hat schließlich den
Preis schon alles in der Hand gehabt?), von der türkischen Autorin Oya
Baydar, die ratlos reagiert auf die Frage, warum man muslimische Frauen am Kopftuch erkennt,
muslimische Männer aber kein Erkennungszeichen haben (ein weites Feld) und von Frank Goosen, der
im Forum der Frankfurter Allgemeinen über das Thema seines neuen Buches redet
(Fußball). Ja, das sind kurz
zusammengefasst meine persönlichen Eindrücke in dem Universum von Hallen, Foren, Ständen und Büchern.
Mir bleibt die Beschäftigung mit der Frage: Was haben Ernesto Guevara und
Ulrike Meinhof gemeinsam, Traumpfade vielleicht? |
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Hallen, Gänge und Agora
Bühnen und Foren
Joachim und Henriette Kaiser: Ich bin der letzte Mohikaner |
Benedict Wells: Becks letzter Sommer | Ingo Schulze: Adam und Evelyn | |||
Klaus Harprecht: Die Gräfin Marion Dönhoff | Manfred Flügge: Die vier Leben der Marta Feuchtwanger | |||
Christine Westermann und Jörg Thadeusz: Aufforderung zum Tanz | Uwe Tellkamp: Der Turm | |||
Nochmal Ingo Schulze, diesmal auf der ARD Fernsehbühne | Uwe Timm: Halbschatten | |||
Paul Coelho: Brida | Lilo Wanders: Voll aufgeklärt - 100 Antworten auf 1000 Fragen | |||
Oliver Polak: Ich darf das, ich bin Jude | Barbara Peters: Theodor Tinte | |||
Oya Baydar: Gemischte Gefühle | Gerd Koenen: Traumpfade der Revolution /Che Guevara Projekt | |||
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Stefan Aust: Baader-Meinhoff-Komplex | Volker Schlöndorf: Licht, Schatten und Bewegung | |||
Peter Härtling: | Cordula Stratmann: Ist dieses Buch ansteckend? | |||
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Christiane Hörbiger: Ich bin der weiße Clown | Nochmal Uwe Timm, diesmal im ARD Hörfunkstudio | |||
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Frank Goosen: Weil Samstag ist | Feridu Zaimoglu: Leyla |
Text und Fotos:
©Renate Hupfeld
Leipziger Buchmesse 2006