Wem gehört die Pressefreiheit? (Erinnerung an Gerd Bucerius, geboren am 19. Mai 1906 in Hamm in Westfalen, gestorben am 29. September 1995 in Hamburg)
Das ist ja unglaublich, schnaubte er,
nahm den Brief in die Hand, schob die Postmappe weg, sprang vom Schreibtisch auf und rannte im Zimmer
hin und her.
Die ZEIT nicht interessiert an Anzeigen? Lebensversicherungsplan in der ZEIT
sehr schlecht besprochen? Welcher Redakteur hatte diesen Artikel
geschrieben? ‚Sehr geehrter Herr Doktor Bucerius, Herr Generaldirektor Werner übergab uns Ihren Brief vom 14. Mai des Jahres, mit dem Sie darum bitten, daß unser Haus seine Finanzanzeigen auch in der ZEIT veröffentlicht. Nun hat die ZEIT in ihrer vorletzten Ausgabe unseren neuen Lebensversicherungsplan 34c sehr schlecht besprochen. Ich nehme an, dass Sie unter diesen Umständen auch an Anzeigen unseres Hauses nicht interessiert sind. Mit vorzüglicher Hochachtung Albert - Generalsekretariat’
Wie wird ein Presseorgan finanziert? Was sind die Aufgaben eines Verlegers? Welche Freiheiten haben Redakteure und wo sind ihre Grenzen? Können Verleger ihren Redakteuren vorschreiben, was sie schreiben? Können Anzeigenkunden Verlegern vorschreiben, was ihre Redakteure zu schreiben oder nicht zu schreiben haben? Wem gehört eigentlich die Pressefreiheit?
Keine Verquickung der Kompetenzen von Verlag und Redaktion. Klare Trennung, doch … ...eigentlich selbstverständlich in demokratischen Strukturen. Wegen einer Selbstverständlichkeit sollte er zu Kreuze kriechen? Auf gar keinen Fall würde er das tun. Bei den Unternehmungen würde sich das herumsprechen und man würde immer wieder versuchen, ihn und seine Mitarbeiter unter Druck zu setzen. Ja, er hatte um Finanzanzeigen in der ZEIT gebeten. Ja, die ZEIT brauchte Geld und musste Anzeigen verkaufen ... ...aber nicht um jeden Preis.
Einige Tage später hatte er die Antwort formuliert und bat seine Sekretärin zum Diktat:
‚Sehr geehrter Herr Albert,
freundlichen Dank für Ihren Brief vom 20.
Mai. In Ihrem Hause ist es nicht ganz klar, dass Redaktion und
Anzeigenabteilung einer Zeitung scharf getrennt sind. Damit sich solche
Mißverständnisse nicht wieder ereignen, habe ich die Anzeigenabteilung der
ZEIT angewiesen, Anzeigen Ihres Hauses nicht mehr entgegenzunehmen.“ (Erinnerung an eine Begebenheit im Jahre 1953. Kursiv gedruckte Textstellen sind zitiert aus: Gerd Bucerius: Der angeklagte Verleger, München 1974, S. 14-15)
©Renate Hupfeld Kommentare an: renatehupfeld(at)gmail.com
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03.03.2010
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