|
White Lady
Renate
Hupfeld
Benommen irrte sie umher zwischen dichten Hecken und fragte sich, wie sie in
diesen Garten gekommen war. Lieblicher Rosenduft stieg ihr in die Nase, aus
einer Nische war leises Plätschern zu hören. Eine Katze, die auf dem Polster
eines Korbsessels ausgestreckt lag, schenkte ihr ein müdes Blinzeln. Hinter
der Terrasse befanden sich die Glaswände einer Schwimmhalle. Als sie
eintrat, erschrak sie über die Stille, die sie plötzlich umgab. Schneeweiße
Hibiskusblüten spiegelten sich auf der Wasserfläche.
Gab es denn nirgendwo einen Ausgang?
Auch der nächste Raum, in den sie gelangte, war unglaublich groß, eher ein
Foyer, überspannt von einer Glaskuppel in schwindelnder Höhe. Schwere
Polstermöbel in weißem Leder, gruppiert um einen Tisch, auf dem zwei
Weingläser dicht nebeneinander standen. Und da hing ihre Jacke über der
Sofalehne. Als sie das Handy in der Innentasche fand, dachte sie an Vanessa
und wählte die Nummer. Zusammen mit ihr war sie im Einkaufscenter und in der
Fußgängerzone gewesen. Dann waren sie im ‚Barbados’ eingekehrt, hatten bei
schummerigem Licht an einem kleinen Tisch gesessen, waren auch ein bisschen
betrunken gewesen, hatten gestritten, wegen Jan mal wieder, und sie hatte
sich an die Bar gesetzt. Filmriss. Was war danach geschehen?
Sie tat einen Seufzer der Erleichterung, als sie die Stimme ihrer Freundin
hörte. Jetzt würde sich alles aufklären.
„Hier ist Melanie. Du musst mir helfen….Sauer? Ich dachte…Mit welchem Mann,
um Gottes Willen?“
Aufgeregt lief sie zwischen Sofa und Vitrine hin und her.
„Wenn ich das wüsste! Bonzengegend, würde ich sagen. Villa mit Pool und
Park, Kamin aus weißem Marmor. So was hast du noch nicht gesehen. Luxus pur.
Hörst du mir überhaupt zu? Ich hatte einen Blackout, kapier das doch!“
Vanessa glaubte ihr nicht. Enttäuscht ließ sie sich auf das Sofa fallen und
versuchte, Licht in das Dunkel zu bringen. Ein Mann hatte sich zu ihr an die
Bar gesetzt und ihr einen Cocktail spendiert. Kurz danach hatte sie mit ihm
das Lokal verlassen. Einfach mitgegangen, wie ein willenloses Objekt. Sehr
merkwürdig. Dann hatte sie die Nacht mit dem Fremden verbracht? So tief war
sie gefallen?
Aber wo war der Mann? Vielleicht beobachtete er sie heimlich. Sollte sie so
einem Psychopathen ins Netz gegangen sein? Aus dem Bistro gefischt und
eingesperrt? Doch wohnten die nicht ganz bieder in Reihenhäusern, fesselten
ihre Opfer und sperrten sie in Verliese? Der geheimnisvolle Unbekannte
konnte sich diese Nobelherberge leisten, viel zu groß für einen allein.
Vielleicht ein Manager, dem die Frau weggelaufen war, aus welchem Grund auch
immer. Offensichtlich hatte er eine besondere Vorliebe für alle weißen
Dinge. Das Kinderlied von den Farben kam ihr in den Sinn und wie gerne sie
immer die eine Stelle gesungen hatte, von dem Schatz, der ein Schneemann
war. Insgeheim musste sie lachen, wenn sie daran zurück dachte. So lustig
das Lied.
Sie legte den müden Kopf auf das Polster und streckte die Beine aus. Nur
nicht einschlafen, dachte sie. In dem Moment entdeckte sie in diesem
großartigen Ambiente das Eingangsportal. Da war doch der Ausgang. Sie sprang
auf, lief zur Tür und drehte an dem goldenen Knauf. Auf einem gepflasterten
Weg zwischen dicken Baumstämmen rannte sie zum Tor, dann stand sie auf der
Straße. Das war noch einmal gut gegangen, alles Weitere würde sich finden.
Nie wieder einen Cocktail, von dem sie nicht wusste, was darin enthalten
war, schwor sie sich und überlegte, wohin sie jetzt gehen sollte. Nach links
führte die Straße in einen Wald, zur anderen Seite machte sie eine Kurve.
Sie wandte sich nach rechts.
„Wohin, Lady?“
Melanie fuhr herum und starrte in ein grinsendes Gesicht. Der Mann packte
ihren Arm.
„Fass mich nicht an!“
„Du musst nicht schreien.“
„Ich schreie so laut ich will.“
Sie versuchte sich loszureißen. Als das nicht gelang, wollte sie ihm mit der
freien Faust auf die Nase schlagen, doch blitzschnell griff er wieder zu und
hielt nun ihre beiden Arme umklammert.
„Dich hört hier keiner“, höhnte er sichtlich amüsiert und presste seine
dicken Finger so fest in ihre Oberarme, dass sie vor Schmerz aufschrie.
„Was willst du von mir, du alter Sack?“
„Aber, aber.“
„Also, was soll diese Inszenierung? Lassen Sie mich gehen, bitte!“
„Viel besser“, erwiderte er.
Wie blödsinnig zu glauben, dass diese Masche bei ihm zog.
„Aber sag doch einfach Viktor“, fuhr er in seiner widerlich höhnenden
Tonlage fort. „Du wolltest die Inszenierung, Lady. Du wolltest unbedingt
hierher. Und wie Recht du hattest. Hier ist es schön. Komm zurück in mein
Paradies.“
Die Freiheit schien zum Greifen nah, doch diese Ausgeburt von Hässlichkeit
schleppte sie durch das Tor und schloss es ab.
„Komm, Lady“, schmeichelte er und packte ihre Hand. Sie musste mit, ob sie
wollte oder nicht, und befand sich wieder unter der gläsernen Kuppel. Als er
auch noch die Hauseingangstür abschloss und sie mit zusammengekniffenen
Augen angrinste, kam sie sich vor, wie die Protagonistin in einem
Psychokrimi. Sie war in seiner Hand, besser gesagt, sie steckte in der
Falle.
Es fiel ihr schwer, einen klaren Kopf zu behalten. Der Mann war stärker als
sie und unberechenbar. Wie sollte sie ihn überlisten? Wenn sie nur nicht so
schlapp wäre! Dieses verdammte Teufelszeug. Irgendwann sollte doch die
Wirkung nachlassen.
Die Aquarien in der
Schwimmhalle hatte sie beim Hereinkommen nicht gesehen. Verborgen hinter den
Hibiskuspflanzen standen sie an der Wand neben der Bar.
„Schau sie dir an, diese exotischen Schönheiten. Wie sie schwimmen, so frei,
so elegant. Wunderbar, vor allem die weißen, findest du nicht?“
„Doch, doch.“
„Piranhas fressen Skalare. Wusstest du das, Lady? Dieser hier liebt die
weißen.“
„Nein, bitte nicht …“, flehte sie, als er die weiße Schönheit aus dem
kleinen Becken fischte. Er hielt das Netz hoch und schaute zu, wie der Fisch
sich wand. Als er nur noch leicht zuckte, ließ der Mann ihn langsam in das
größere Becken gleiten. Es dauerte eine Weile, bis der Gequälte zu schwimmen
begann. Und es dauerte wieder eine Weile, bis der große Schwarze langsam aus
seiner Ecke kam und sich der weißen Schönheit näherte.
„Schau genau hin, Lady. Siehst du die Zacken?“
Verzückt blickte er in den gierigen Rachen.
„Wie spitz sie sind, die Beißerchen. Und scharf. Siehst du, was er macht?“
So stark der Sog.
Zu stark.
„Ein herrliches Skelett“, schwärmte er, als der Schwarze sein Werk vollendet
hatte. „Wie es schwebt. Ich kann mich nicht satt sehen.“
„Schneeweiß“, hauchte sie.
„Ja, so schön weiß“, flüsterte er und seine Augen blickten böse.
Sie wollte weglaufen, doch die Beine gehorchten nicht.
„Was ist mit dir, Lady? Deine Händchen. Sie sind ja so kalt. Komm zu mir.“
Ganz steif wurde sie, als er sie an sich zog.
„Ich spiel es noch einmal für dich. Hörst du es?“
Your skin has turned to white, sang Cat Stevens.
Von ganz weit entfernt hörte sie die Gitarre.
„Lass uns tanzen, Lady.“
Als er sie mit seinen Armen umschlang, drückte sein massiger Körper ihr die
Luft ab. Sie hatte Angst zu ersticken, atmete schwer.
„Nein, nicht…“
Ihre Stimme.
„Ja, so ist es schön“, flüsterte er.
„Nein…“
Warum versagte ihre Stimme?
„Du zitterst ja.
Das musst du nicht.
Viktor ist doch bei dir. Lass uns schwimmen, Lady.“
Ganz leise sprach der Mann.
So still hier.
Zu still.
Kommentare
an:
©Renate Hupfeld
|
|