Römischer Frühling
Romain Rolland und Malwida von Meysenbug in Rom 1890
Textprobe: Rom, 30. Mai 1890 Schwarze Wolken verdunkelten den eben noch strahlend blauen Himmel über Rom. Frühlingsgewitter, schon seit Tagen. In seinem Kopf klang immer noch das großartige Gedicht nach, von Trauer und Hoffnung, von Unruhe und Aufbruch, Adagio sostenuto. Beethoven. Seit seiner Kindheit begleiteten ihn die Schöpfungen dieses Genius und hatten ihm schon so oft Rettung aus seelischer Not gebracht. Vor ihm auf dem Schreibtisch lagen drei Blätter aus veilchenblauem Papier, darauf akkurate Zeilen in großer, klarer Schrift. Romain griff nach dem Brief und las: ›Leidenschaftliche Freundschaft … zunichte gewordene Illusion‹. Malwida von Meysenbug hatte diese Worte geschrieben. Sie erwartete eine Erklärung. Ach, sie wusste ja nichts, seine Idealistin. Er war doch wie immer gewesen, mal schweigsam, mal gesprächig. Warum hatte sie plötzlich kein Vertrauen mehr zu ihm? Sie konnte ihm nichts vorwerfen. Nicht wegen des Klavierspiels war er in den vergangenen Tagen der Villa Mattei ferngeblieben. Es störte ihn nicht, wenn Donna Laura Minghetti bei Einladungen in ihren Salon ankündigte, Signore Rolland würde kommen und wieder spielen. Nein, am Piano kannte er keine Schüchternheit. Da hatte er nur die Kompositionen der großen Meister im Kopf und vergaß alles um sich herum. Der Grund für sein Fernbleiben war ein anderer, aber das konnte sie nicht wissen. Konnte sie denn sehen, wie es in ihm loderte? Unmöglich, sein Geheimnis preiszugeben, es ging ja nicht um ihn allein.
Malwida von Meysenbug
(1816-1903)
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