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Frankfurter
Buchmesse 2010 - Gastland Argentinien
„...
Sie könnte jetzt anfangen zu tanzen, der Mann nicht. Sein Gesicht, seine
Haltung verraten, dass er traurig ist, so traurig wie der Tango, der darüber
trauert, dass man sich ständig verfehlt und dass es so traurige Gestalten
wie den Mann mit dem Bandoneon gibt, der sich seiner so sicher ist, weil er
glaubt, dass er Bescheid weiß, dabei weiß er überhaupt nicht Bescheid
...“
Dieses Zitat aus der Kürzestgeschichte des argentinischen Autors Martín
Kohan, gefunden auf dem Cover der diesjährigen Buchmessenausgabe der ZEIT
LITERATUR, vermittelt mir auf seltsame Weise das gleiche Gefühl, wie ich es
bei der Begehung der Installation des diesjährigen Gastlandes der
Frankfurter Buchmesse erlebe. Es zieht mich immer wieder hinein in die Gänge
zwischen halbtransparenten Stoffbahnen, Bildern, Säulen, Mauern, Wortbändern
und Tönen. Verhalten gehe ich von Botschaft zu Botschaft, verweile leicht
schaukelnd auf einem fein gearbeiteten Holzsitz und lasse die Eindrücke auf
mich wirken, Arrangements aus rotbraunen Felsen und Wasserfällen, bizarre
Landschaften aus Eis, pulsierende Metropolen, Menschen in ihren
Lebenszusammenhängen, Fußballlegende Diego Maradonna und das groß
abgedruckte Konterfei von Che Guevara, so angebracht, dass es in der
Ausstellung fast von jeder Position aus zu sehen ist. Sein bolivianisches
Tagebuch und die olivgrüne Leinentasche haben es ebenso wie das Kleid von
Evita Peron in eine Glasvitrine geschafft. Ich erlebe Vergangenheit und
Gegenwart eines Landes, dessen Darstellung mich berührt und dessen Trauma
auf eine unaufdringliche Weise präsent ist. Nichts erdrückt mich, sondern
alles macht mich neugierig und zieht mich weiter hinein bis zu einer Mitte,
wo an einer Mauer und an Stellwänden Fotos und Namen der während der Militärdiktatur
Verschwundenen und der verschenkten Kinder von ermordeten Eltern zu sehen
sind, die es gewagt haben, ein Unrechtsystem zu kritisieren. An dieser
Stelle verspüre ich besonders stark diese eigenartige Traurigkeit wie beim
Lesen des Textes von Martín Kohan, die niemanden und kein Unrecht vergisst
und nicht unglücklich macht, sondern weich und offen, eine Traurigkeit, die
hoffen lässt, doch einmal Bescheid zu wissen. Diese Hoffnung haben auch die
Großmütter der gestohlenen Kinder nie aufgegeben, die sich seit mehr als
drei Jahrzehnten jeden Donnerstag auf der Plaza de Mayo treffen, sofern sie
nach all den Jahren noch dazu in der Lage sind, um gemeinsam nach den
Kindern ihrer getöteten Kinder zu suchen. Bei einigen hatte die Suche
Erfolg, so wie bei der Großmutter von Victoria Donda, die im Jahre 2004 ihr
Enkelkind aufgrund der Ähnlichkeit mit ihrer Tochter fand. Sie hat zwar
nicht ihre ermordete Tochter wieder bekommen, doch ihre Enkeltochter, als
Baby an eine linientreue Familie verschenkt, ihrerseits auf der
verzweifelten Suche nach ihrer wahren Identität. Victoria Donda hat
ihre Geschichte aufgeschrieben und stellt das Buch "Mein Name ist
Victoria" nun am Verlagsstand auf der Buchmesse vor (siehe Foto
unten!). "Die Großmütter der Plaza de Mayo haben nie aufgehört
nach den restlichen Kindern zu suchen." steht unten auf dem Plakat
mit den vielen Namen geschrieben.
©Renate Hupfeld
10/2010
Fotos
und mehr unter:
Frankfurter Buchmesse 2010
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