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Sandmann

Neben dem Kassenautomaten der Sandmann. Blauer Schlafrock mit goldenen Sternen. Guckt durch ein Fernrohr. Alles in Ordnung auf der Sternenwiese. Die Sterne haben ihre Strahlen ordentlich geputzt. Glitzern unter der Glaskuppel im Einkaufscenter.

Weihnachtsgeschenk für Sarah. Thomas muss damit rechnen, dass er nie erfährt, ob sein Geschenk bei ihr ankommt. So war es im vergangenen Jahr. Der Wunsch ihr etwas zu schenken ist größer als die Enttäuschung über ihr Schweigen.

Die Ladenzeile ein goldglänzendes Fantasieland mit Märchenfiguren und geschmückten Tannenbäumen. In der Kinderstube von Peterchen und Anneliese spielt Sumsemann auf seiner Geige. Ein paar Meter weiter die Milchstraße. Sandmanns Mondschlitten schwebt mit den drei Abenteurern zum Schloss der Nachtfee. Die Weihnachtswiese. Bilderbücher wachsen wie Blumen. Ein kleines Mädchen mit verträumtem Blick vor dem Puppengarten. Thomas denkt an Sarah. Wovon träumt mein kleines Mädchen? Inzwischen ein Teeny. Kann sein, dass ich mein Kind nicht mehr erkenne, wenn es mir begegnet.

Da war einmal die Geschichte der Sumsemanns. Jeden Abend vor dem Schlafengehen. Aufregende Hindernisse und Überraschungen auf der tollkühnen Fahrt zum höchsten Mondberg. Auf der Suche nach dem sechsten Maikäferbeinchen. Sarah konnte nie genug kriegen. Bis feiner, silberner Sand aus Sandmanns Pusterohr in ihre Augen rieselte und sie in seinem Arm einschlief. 

Neben der silbernen Mondkanone die Buchhandlung. Thomas stöbert in der Jugendbuchecke. Reiterhof Birkenhain. Interessiert sie sich noch für Pferde? Schule, Frust und große Liebe. Zu heikel. Die wilden Hühner auf Klassenfahrt. Könnte lustig sein. Mag Sarah das? Den neuen Harry Potter hat sie sicherlich schon. Da entdeckt er auf einem Tisch ein Buch, das er gut kennt. Geheimnisvolle Landschaft am Polarmeer auf der Titelseite. Kaltes Blau im Kontrast zu warmem Grün. Er nimmt es in die Hand. Der Autor kommt von der äußersten Nordostküste Sibiriens. Aufgewachsen in einer Jaranga als Sohn eines Meeresjägers. Dort spielt der Roman. Ein Mann strandet im Eis und erlebt den härtesten Winter seines Lebens. Er bleibt für immer. Ob Sarah das interessiert? Ich muss ihr erklären, warum ich gerade das Buch für sie ausgesucht habe.

Liebe Sarah, wenn Weihnachten naht, ist die Trauer ... Lange hab ich überlegt, was ich dir ... Ich habe ein Buch für dich gefunden und hoffe ... Vielleicht ... Kannst du dir vorstellen, dass man bei siebzig Grad Kälte in einem Zelt aus Walrosshaut und Rentierfellen nicht friert?

Nach langem Nachdenken legt Thomas das Buch zurück.

Die Sterne über der Rolltreppe schicken ihre schönsten Strahlen. Als er die Parkgebühr einwirft, winkt der Sandmann ihm zu. Ein helles Lächeln im Gesicht.

©Renate Hupfeld 12/2002

 

 

 

Diese Geschichte entstand nach der Monatsaufgabe der Literatur-Homepage Schreib-Lust im Dezember 2002 (Every year the same procedure) und ist veröffentlicht unter

www.schreib-lust.de