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Wird man da angefasst?

 

Menschen dicht gedrängt zwischen bunten Fassaden von Shaker und HipHop. Lass uns mit dem Riesenrad fahren. Mein Mann und ich schieben uns im Schneckentempo Richtung Santa Monica Platz. Eisverschmierte Münder und Glücksprinzen mit riesigem Stofftier kommen uns entgegen. Ein Kleinkind in seinem Buggy guckt zwischen einem Gewirr von unzähligen Beinen ängstlich hoch. Das Riesenrad dreht ein paar Runden, hoch und runter. Dann wird es angehalten. Gondel nach Gondel leert sich und wird neu besetzt. Das dauert. Ich halte schon mal meine Digitalkamera bereit. Jetzt sind wir aber dran, sagt ein kleines Mädchen neben mir zu seiner Mutter. Wenig später sitzt es uns gegenüber, ein Strahlen im Gesicht. Guckt sich mit wachen Augen alles an. Verstrebungen bis zum blauen Himmel. Fotos machen. Langsam geht es aufwärts und wir kriegen einen grandiosen Blick auf unsere Stadt. Ich fotografiere die Einhornapotheke und das Giebelgemälde über dem Café Extrablatt. Die Pauluskirche und das Rathaus schön zu sehen. Weiter entfernt die Wassertürme. Im Kettenkarussell fliegen die Menschen in Wellenlinien. Die Wilde Maus von oben. Auf schmaler Schiene mit Neunziggradkurven hoch über dem Abgrund. Foto. Kühl und windig ist es hier oben. Ich gucke runter auf das Menschengeschiebe in den Budengassen. Mir wird mulmig.

So hoch war das Riesenrad noch nie. Wie viel Meter mag das sein? Fünfzig Meter, sagt mein Mann. Die Kleine uns gegenüber hat sich das interessiert angehört und guckt ausgiebig nach unten. Hast du Angst, fragt sie mich mit keckem Blick. Ein bisschen. Ich nicht. Sie überlegt sichtlich angestrengt. Warst du schon mal in der Geisterbahn? War ich schon. Und wie war das?  Muss ich nachdenken. Sie lässt nicht locker. Wird man da angefasst?

Nichts für schwache Nerven. Ein schwarzer Vorhang streift mein Gesicht. Dann ist es stockdunkel. Wo ist oben und unten?  Ich bin gefangen in der Dunkelheit. Falle in ein Loch. Das Gefährt rumpelt weiter. Wieder streift mich was Weiches. Grellflackerndes Licht. Ich drücke mich tief in den Sitz, Kopf zwischen die Schultern. Hände und Arme eng am Körper. Wie viele kommen denn da noch? Schwarze Augenlöcher und breites Grinsen. Nun hebt sich der Schenkel, nun wackelt das Bein. Rattert es durch meinen Kopf. Seltsame Geräusche knallen an mein Ohr. Lange Knochenfinger krabbeln wie Spinnenbeine um mich herum. Wabernde Nebelschwaden. Tosendes Wasser. Eine glitschiggrüne Monsterhand klatscht in mein Gesicht. Hellvioletter Blitz. Donnerknall. Rote Grimasse mit zwei schwarzen Hörnern. Jetzt hab ich dich, dröhnt eine schreckliche Stimme. Glühende Augen auf mich gerichtet. Höhnisch bebendes Lachen. Das Drachenschiff befördert mich unerbittlich ins Feuermeer, hoch und runter...

Die Kleine guckt mich erwartungsvoll an. Kann schon vorkommen, dass man angefasst wird. Dann lauf ich einfach weg. Geht nicht so einfach, du sitzt in einem Wagen und fährst durch ein Gruselhaus. Dann mach ich die Augen zu. Sie überlegt angestrengt. Aber dann mach ich sie wieder auf. 

 

©Renate Hupfeld  10/2002   

 

Inhalt: Warum sehen sie so normal aus?