Wann hat Dali
das Bild gemalt?
Lange
betrachtet Vera das Foto von Karl auf seiner Homepage. Haare schön
gescheitelt. Guckt immer noch so unschuldig. Gleiche Adresse wie früher.
War eine schwere Zeit für ihn, nachdem seine Frau mit den Kindern
ausgezogen war. Probleme gibt’s nicht, sagte er oft. Vera hatte er in
einer Studentenkneipe kennen gelernt. Viele
Abende und Nächte verbrachte sie in seinem Haus. In bester Wohngegend,
alles im Überfluss da. Der Garten mit geschwungenen Wegen und
weinberankten Lauben wie ein Park. Waren gut drauf. Zwischen Jungsein und
endlich erwachsen werden noch ein bisschen auf die Pauke hauen und das
Leben genießen. Oft saßen sie an der Bar neben dem Pool, hörten Musik
und redeten über Besuche in Kneipen und Restaurants. Karl erzählte von
seinen Aufenthalten in Südamerika. Hatte beruflich in Peru zu tun. Fahrt
mit der Eisenbahn in den peruanischen Bergen, Cusco und die steilen
Terrassen von Machu Picchu. Faszination der sagenumwobenen Stadt der Inkas
in mehr als zweitausend Metern Höhe auf Super Acht. Piranhas im Aquarium
hatte nicht jeder. Besondere Attraktion, wenn Karl ihnen zu fressen gab.
Er hielt das Futter zwischen seinen Fingern. Wie Pfeile flitzten sie heran
und zerrissen mit ihren spitzen Zähnen das rohe Fleisch. Sie bewunderte
Karl, liebte seinen Charme und seine
Großzügigkeit. Cat Stevens und die Lady im Grab wollten sie immer wieder
hören. Tanzten manchmal, bis die Sonne leuchtend rot im Hügelland
aufging. Sonnenglitzerndes
Meer in den verschiedenen Blau- und Türkistönen am Salinas Strand. Den
warmen Wind ließen sie über ihre fast nackten Körper streichen. Ewiges
Brandungsrauschen. Abends gekleidet in bunten, verspielten Röcken
zwischen weißen Häusern im Hafen von Ibiza bummeln. Gegrillte Gambas und
dunkelroter Wein beim Anblick der ankommenden und abfahrenden Schiffe.
Anschließend tanzen in der Disco. War immer lustig mit Karl. „Warum
ist deine Frau eigentlich mit den Kindern aus deinem Haus ausgezogen?“
Nach dieser Frage von Vera wurde sein Gesicht weiß und hart. Ihre Worte
zogen mit dem Rauch der Zigarette davon. So kannte sie ihn nicht. Fernet
Branca sein Retter in der Not. Er rutschte vom Barhocker und lag vor der
Theke auf den roten Kacheln. Vera half ihm ins Bett. Richtig seriös sieht er aus mit Krawattenknoten am Hals. Weißes Hemd unter dunklem Anzug. Eines
Abends wollte Karl ihr das neue Wandbild in seinem Schlafzimmer zeigen.
Als sie es betrachtete, stand er hinter ihr. „Wann hat Dali das Bild
gemalt?“ Ihre Frage hörte er nicht. Sie drehte sich um. Ein Schauer
lief ihr über den Rücken. Kalter blauer Glasblick. Wie ein Tiger fiel er
über sie her und warf sie auf sein Bett. Sein Gesicht ganz nah an ihrem
Gesicht, drückte ihr die Luft ab. Vera wusste später selbst nicht mehr,
wie sie es geschafft hatte sich zu befreien.
Wie
ein Guru sitzt er da. Für alles eine Lösung bereit. Verkauft Workshops
zur Stressbewältigung und zum Abbau von Reibungsverlusten. Vera denkt an ihr Bauchkettchen, das ihr bei der Episode in seinem Schlafzimmer verloren gegangen war. Es war ein besonderes Stück aus Gold, eine Reihe glitzernder Fische eingearbeitet. Manchmal hatte sie sich gefragt, ob er es noch hat. In all den Jahren, als sie lernte zu fliegen und zu träumen. Malt filigrane Bilder, hebt schillernde Steine auf und legt sie sorgsam wieder an ihren Platz. Männer? Gibt es in ihrem Leben. Aber Knotenmänner nicht. Professionell gestaltet seine Page, grün gehaltene
Animation. Buchstaben seines Namens setzen sich wie Puzzleteile zu einem
Logo zusammen. * Die ganze Nacht lang ist Vera in seinem Haus. Steiler
Hang. Von der großen Terrasse lässt sie den Blick über die grüne
Landschaft schweifen. Tief unten der Garten. Idyllisch mit dunklen
Nischen. Sie durchquert einen riesigen Raum. Hell, mit Ausblicken in alle
Richtungen. Gemauerter Kamin aus Natursteinen, nach oben schmaler, endlos
hoch. Fremdartige Atmosphäre wie in einem Heiligtum. Vera bewegt sich
vorsichtig. Vor dem Erker die Straße, gediegene Häuser mit schönen Vorgärten.
Glänzende Autodächer in den Einfahrten. Gepflastert in geheimnisvollen
Kreismustern. Leuchtend blaue Hortensien. Dalis weiche Uhr über seinem
Bett im Schlafzimmer. Your skin has turned to
white in der Bar am Pool. Im Aquarium treibt ein weißes Fischskelett neben
einem roten Piranha. Hell erleuchtetes Flaschenregal. Fernet-Branca in den
Krallen eines mächtigen Adlers. Vera tanzt verrückt herum. Plötzlich fühlt
sie sich von unsichtbaren
Armen umklammert. Karl starrt sie an. Sie will wegrennen. Blitzschnell
springt er auf sie zu. Stellt sich ihr in den Weg. Glattes, schwarzes
Fell. Ohren spitz nach oben gestellt. Guckt mit bösen Augen auf sie
herab. Knurrt wütend. Die Lippenhäute zittern. Weiße Zackenreihe
scharfer Zähne. Lange Eckzähne ragen ineinander. Sein riesiger Körper
wie eine Waffe gegen sie gerichtet. Vera schreit, kein Laut kommt aus
ihrem Mund. Die Augen weit aufgerissen. Steht wie versteinert. Das grässliche
Untier ist außer sich. Lautes, schrilles Bellen. In seiner Raserei
schnappt es nach ihrem Bein. Will sie in seinem gewaltigen Rachen
verschlingen. Im roten Lichtmeer rollt eine psychedelische Bilderflut auf Vera zu. Ein goldener Glitzerfisch tanzt vor ihren Augen. Von weit entfernt seltsame Töne. Shine on you Crazy Diamonds. Die Melodie kommt näher und ein zweiter Fisch tanzt mit dem anderen. Je näher die Musik kommt, desto mehr Fische werden es. Jetzt schwimmen sie hintereinander und bewegen sich mit der Musik erst über Veras Kopf, dann um sie herum. Ein goldenes Band umkreist ihren Körper. Vera löst sich vom Boden und wird in die Höhe gezogen. Sie sieht auf das Monster herab. Sein schwarzes Fell glänzt. Es schnappt hektisch ins Leere. Durch eine sonnenhelle Türöffnung schwebt sie hinaus. Über den großen Garten hinweg ins weite Hügelland. ©Renate Hupfeld 11/2002 Diese Geschichte entstand nach der Monatsaufgabe der Literatur-Homepage Schreib-Lust im November 2002 (Schreibe eine Horrorgeschichte) und ist veröffentlicht unter
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