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Er hat den geilsten Po

 

Lena sitzt am Schreibtisch und guckt in die Dunkelheit. Warten. Wir werden uns trennen.  Musste sie sich vor einer Woche anhören. Die ganze Nacht war das Bett neben ihr leer geblieben. Weiße Streifen auf nasser Straße. Ab und zu entfernte Motorengeräusche von der Autobahn. Mitternacht. Lena denkt nicht an Schlafen. Irgendwann muss Paul kommen. Bei jedem größer werdenden Lichtkegel schlägt ihr Herz schneller. Er hat heute Morgen seine Tennistasche mitgenommen. Wo und mit wem spielt er Tennis? Sie wartet. Immer die Straßenecke im Blick. Er muss mit ihr reden. Sie wird ihm sagen, dass nur sie ihn liebt. Ihm beweisen, dass er zu ihr gehört.

Einuhrfünfunddreißig. Endlich bewegen sich zwei Scheinwerfer langsam auf Lenas Fenster zu. Am Küchentisch erwartet sie ihn. Paul ist kein bisschen überrascht sie noch in noch in der Küche anzutreffen. Klar und aufgeräumt. Es gibt nichts zu reden. Er empfindet nichts mehr für sie. Sie soll endlich begreifen, dass er ein freier Mensch ist. Wird in den nächsten Tagen aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen. Bewegt seinen schönen Körper Richtung Bett und schläft.

 

Er hat den geilsten Po. Lenas erster Gedanke. Die Stille am Sonntag Morgen kann sie nur schwer ertragen. Ich krieg dich zurück, denkt sie, gib doch zu, du liebst mich auch. Dem hübschen Mädchen aus ihrem Traum gibt er alles, was Lena von ihm will. Das Spielchen wird sie ihm vermiesen. Brief schreiben. Nur sie liebt ihn. Fehler hat sie gemacht, das sieht sie ein. Alles wird besser. Er soll mit ihr noch mal über alles reden. Den Brief will sie Paul persönlich übergeben.

Sein blauer BMW auf dem Parkstreifen. Er ist zu Hause. Sie klingelt an seiner Tür. Er öffnet einen winzigen Spalt. Es ist nichts mehr zwischen uns, kapier es endlich. So kann er mit ihr nicht umgehen. Er muss mit ihr reden. Sie klingelt noch einige Male. Dann steht sie neben seinem Auto. Er entwischt mir nicht, denkt sie. Den Brief klemmt sie unter den Scheibenwischer.

Paul ist seit Tagen von der Bildfläche verschwunden. Macht Urlaub in einem kleinen Dorf in Südtirol. Kommt Lena zu Ohren. Gegen Mittag steigt sie in ihr Auto und fährt Richtung Süden. Das Schlimmste für mich wäre, wenn ich dich verlieren würde. Liebeserklärung von Paul. Im Sonnenflackerfilm auf der Windschutzscheibe sieht sie ihn mit ihm beim Schmusetanz. Skifahren in Wolkenstein. Badebucht auf Rhodos. Das wird nie vorbei sein. Siebenhundert Kilometer vom Alltagsstress entfernt wird sie ihm wieder näher kommen. Ihr Auto fliegt über die Autobahn und schnurrt auf schneebedeckten Serpentinen zwischen meterhohen Schneemauern und steilen Abgründen bergauf. Nach dem Ortseingangsschild parkt sie und geht zu Fuß weiter. Sie wird Paul schon finden. Er steht auf einer Anhöhe neben dem geöffneten Kofferraum seines BMW. Sie rennt auf ihn zu. Wir haben nichts miteinander zu tun, lass mich in Ruhe. Sie guckt hinterher, wie er wütend im Haus verschwindet. Enge Jeans. Es kann nicht sein. Sie will ihn zurück haben.

Die Leuchtwerbung des „Stadl“ verspricht einen Ausweg. Hier tanzt der Bär, ein Discjockey legt die absoluten Aufreißerhits auf. Lena findet einen Thekenplatz, von dem aus sie die Eingangstür beobachten kann und bestellt ein großes Bier. Nach einer guten Stunde erscheint ein diagonal karierter Bennetton-Pullover zwischen bunten Lichtreflexen, Geschenk von Lena. Er kommt in ihre Richtung und ..... Lena kann es nicht fassen ..... sie sieht nur noch die uniblaue Rückseite. Die diagonal karierte Vorderseite ist in trauter Zweisamkeit mit einer dunkelhaarigen Schönen beschäftigt. Ziemlich intensiv reden sie miteinander. Sind sehr vertraut. Lenas Blick bohrt sich in Pauls Rücken. Verlieben, verloren, vergessen, verzeihn, tönt aus den Lautsprechern. Discofox. Als sie ihn auf die Tanzfläche ziehen will, bezahlt er und verlässt mit seiner Begleiterin das Lokal. Ich krieg dich, denkt Lena und bestellt einen Campari mit Eis. Das ganze Stadl dreht sich im Lichtergewirr. Wahnsinn und kein Ende. Paare tanzen in immer schneller werdendem Tempo an ihm vorbei. Noch einen Campari ohne Eis.

Nach einer kurzen Nacht sitzt Lena in ihrem Auto und will die Dinge auf sich zukommen lassen. Irgendwann wird er hier auftauchen. Der Ort ist nicht groß. Do you really want to hurt me?…, singt Boy George. Dieser Mistkerl, wenigstens reden soll er mit ihr. Hat er denn alles vergessen, was sie für ihn getan hat? Wer hat ihn aus seinem Kaff raus geholt und wer hat sein Studium bezahlt? Ohne sie säße er immer noch bei seiner Mutter und würde sich von ihr einkleiden und bekochen lassen. Wer hat ihn bei sich wohnen lassen, als er nach Hamburg kam und eine Volontärstelle suchte? Ihm die guten Kontakte für seinen Job vermittelt? Seine ersten Artikel Korrektur gelesen? Ohne sie wäre er immer noch der kleine Provinzschreiber. Er war ein kleines Licht. Sie hat ihm die große Welt gezeigt. Jetzt verdient er Geld und hält diese Tussi aus. Er hat nicht nur den geilsten Po, er ist überhaupt der geilste Typ. Ich habe ihn entdeckt. Paul gehört nur mir.

Ein blauer BMW bewegt sich auf schneebedeckten Serpentinen zwischen meterhohen Schneewänden und steilen Abgründen talwärts. Lena sitzt immer noch im geparkten Auto und hört im Autoradio die schöne traurige Stimme ....Do you really want to make me cry....

 

©Renate Hupfeld

Inhalt: Warum sehen sie so normal aus?