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Sehnsucht und Angst
Seine Liebste liegt neben ihm auf der Spätsommerwiese, Hand in Hand, Auge in Auge. Wie hat er auf diesen Moment gewartet. In ihm singt ein betörendes Liebeslied. Könnte er doch in diesen Augen versinken. Milena streicht mit den Fingern der freien Hand durch seine Haare, so sanft, dass ihm ein Schauer über den Rücken läuft. Er beugt sich hinüber und zieht ihr das Kleid über die Schulter, ihr gebräunter Körper bebt. Jetzt fallen lassen wie in ein Kieselstein im Wasser, eintauchen im weichen Sand tief unten auf dem Meeresgrund. So muss es bei der Mutter gewesen sein, als er ein kleiner Junge war. Aber er ist ein fast vierzigjähriger Mann und Milena nicht seine Mutter. Sie ist anders, wie Feuer, ihre Lippen, süß wie dunkelroter Wein. Er kann nicht aufhören sie zu küssen. Noch näher möchte er ihr sein, eins werden mit ihr. Sie schiebt ein Bein unter ihn, dann ihr Becken, windend. Miteinander kreisen ihre Körper im wilden Tanz. Milena stöhnt, drängt, will ihn, will alles, will, will, will … ‚Nein, ich kann nicht’, hämmert es wild in seinen Schläfen. Abrupt löst er sich aus ihrer Umarmung, setzt sich ins Gras und vergräbt den Kopf in den Händen. „Es geht nicht“, sagt er schluchzend. Milena ist aufgesprungen und hat ihr Kleid zurechtgerückt. Fassungslos starrt sie auf das weinende Elend im Gras. „Frank, ich möchte schreien. Wie soll ich das alles verstehen?“ „Es ist meine Schuld, Milena. Ich hätte Dich nicht drängen sollen, hierher zu kommen. Ich hätte Dich nicht hinunter ziehen sollen in diese Hölle. Es ist alles meine Schuld.“ Er spürt einen Hustenreiz und sich auf den Rücken in das weiche Gras. „Es geht nicht“, sagt er resigniert. „Frank, wovor hast Du Angst? „Das erste, was ich gefühlt habe an dir, Frank, Angst.“ Wofür haben sie stundenlang im Zug gesessen? Er aus Prag. Sie aus Wien. Endlich sollte er in Erfüllung gehen, sein Traum ihr Traum. Sehnsucht und Angst sind schlechte Partner. „Meine Angst gehört zu mir wie sonst nichts auf der Welt.“ „Wie anders war es doch in Wien, Frank, da war sie völlig verschwunden. Vier Tage lang war sie verschwunden. Was ist denn geschehen seitdem?“ Er hebt den Kopf und schaut in ihre Augen. Sie hat das schönste Gesicht, die schönsten Augen, ist überhaupt die schönste Frau, die er kennt. Ihr goldglänzendes Haar. Sie ist eine Frau wie Samt und Samt und Seide, anders als alle anderen, die er kennt. Aber er kann sie nicht haben, würde er sie auch noch so fest halten, fühlt, wie sie ihm unaufhörlich entgleitet. „Aber sie gehört zu mir wie nichts sonst auf der Welt. Vielleicht ist sie sogar das Wertvollste an mir.“ Sehnsucht und Angst, Angst und Sehnsucht. Er möchte sie so gerne haben und kann nicht. Seine Träume sind kalt geworden, die Spätsommersonne wärmt sie nicht. Sie ziehen mit den weißen Wolken davon. Schon zieht kühlerer Wind durch das trockene Gras, riecht ein wenig nach Herbst. Dabei sollte dieser Sommer der Anfang zu einem neuen Frühling werden. (ein Fragment) ©Renate Hupfeld Ich freue mich über Kommentare
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