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Freiheit

(Begegnung zwischen Theodor Althaus und Malwida von Meysenbug in Detmold, Pfingsten 1846)

Malwida stand am Fenster und wartete auf Theodor. Gemeinsam wollten sie an diesem Pfingsttage zum fast fertig gestellten Sockel des Hermannsdenkmals wandern. Wie lange hatte sie ihn nicht gesehen! Dabei wohnte er nur wenige hundert Meter entfernt, im Pfarrhaus an der Detmolder Marktkirche. Vorbei waren die Zeiten, als die Mutter ihn das Ideal eines jungen Mannes genannt hatte, voll des Lobes gewesen war für seine guten Manieren und seinen glänzenden Abschluss des Theologiestudiums. Seit seinem kritischen Artikel zum Jubeltag des Fürsten im Sonntagsblatt zur Weserzeitung galt er als Enfant terrible der Detmolder Gesellschaft. Ohne sich und andere zu schonen, sagte und schrieb er frei seine Meinung zu Angelegenheiten der Religion, der Politik und neuerdings auch der beschaulichen lippischen Residenz. Vor allem den Kreisen, in denen ihre Familie verkehrte, verachtete man ihn, ja hasste ihn sogar.

Als sie ihn die Leopoldstraße hinauf kommen sah, lief sie die Treppe hinunter, öffnete die schwere Eichentür des Eingangsportals so leise wie möglich und verließ das Haus.

Schweigend gingen sie stadtauswärts durch Wiesen und Kornfelder, dann zwischen jungen Birken und Kiefern, bis sie den Pfad im Wald erreichten, der hinauf führte zum Denkmal auf der Grotenburg. Angenehm zu wandern war es hier im Schatten zwischen den schlanken Buchenstämmen und dem Grün der frischen Blätter. Als sich ihre Hände wie zufällig berührten und seine Finger sanft die ihren umschlossen, zog ein Schauer durch ihren Körper. Lass es nie zu Ende gehen, betete sie, lass es sein wie am Anfang, als er sie in seinen Armen gehalten und sie sich an ihn geschmiegt hatte. Einmal seine Lippen küssen, komm näher, mein Geliebter… Aber nein, er war ja doch noch so jung, viel zu jung.

„Ist Ihre Frau Mutter wohlauf?“, platzte er in ihre Gedanken. Die Mutter. Noch kein Jahr war vergangen, seit sie ihn zum Lesekreis in ihren Salon eingeladen hatte, jeden Montag.

„Ach, Theodor“, seufzte sie. „Mutter sorgt sich sehr um den Vater. Er zieht immer noch mit dem alten Kurfürsten durch die hessischen Lande und kommt nirgendwo zur Ruhe. Dabei ist er doch auch nicht mehr der Jüngste. Die Eltern sehnen die Kasseler Jahre zurück.“

„Besser wird es nicht mehr, Malwida.“

Wie sanft seine Stimme klang. Sie sah zu ihm hoch. Nein, sie konnte nicht von ihm lassen. Die blauen Augen und das klare Profil. Nicht nur deshalb liebte sie ihn. Er war ein besonderer Mann. Mit ihm konnte sie über alles reden, was sie bewegte. Das waren andere Themen, als Küche und Stickmuster. Stundenlang hatten sie sich über Goethes Faust unterhalten. Sie waren so sehr einer Meinung, dass sie manchmal nicht wussten, ob ein Gedanke von ihm oder von ihr stammte. Diese Gespräche vermisste sie.

„Wie sich doch auch für uns die Zeiten verändert haben, lieber Freund.“

„Die Luft ist kalt geworden“, antwortete er kurz.

„Stimmt“, sagte sie. „Und seitdem man Sie aus dem Leseverein ausgeschlossen hat, ist es noch frostiger um uns herum.“

Er lachte bitter.

„Hach, da sehen Sie doch die Heuchelei. Für jedermann sollte es sein,  Lesezimmer im Rathaus. So steht es in den Statuten.“

„Recht hatten Sie mit Ihrem Artikel“, sagte sie. „Das große Volksfest hatte diesen Namen nie und nimmer verdient. Das Volk war da nur Staffage. So viel Geld für ein Feuerwerk. Wie vielen Armen hätte man damit helfen können? Sie haben nur die Wahrheit geschrieben, frank und frei.“

„Was sagen Ihr Bruder und Ihr Schwager dazu, Fräulein von Meysenbug?“, sagte er spitz. „Sind die doch in herausragender Stellung am Hofe. Wissen sie überhaupt, was Freiheit heißt?“

Ja, das schmerzte dauernd, wie ein Stachel im Fleisch. Fürchterlich aufgebracht gegen Theodor Althaus waren sie, machten ihr Szenen und nannten ihn einen durch und durch unmoralischen Menschern. Selbst ihre Schwester hatte sich gegen sie gestellt. Wie kannst du dich so herablassen? Hast du das kleine „von“ in unserem Namen vergessen? Doch am schlimmsten waren die Vorwürfe der Mutter. Wie kannst du uns das antun?   

„Diese Kluft, Theodor, von der Sie geschrieben haben, zwischen denen, die in der Reitbahn stundenlang tafeln und denen, die ihr karges Mittagessen in einem Topfe kochen, die hat sich auch zwischen uns aufgetan.“

„Sie sind Aristokratin. Könnten Sie doch in Adelskreisen eine gute Partie abgeben.“

„Theodor“, rief sie zornig.

„Haben Sie nicht immer gerne getanzt im Schloss mit den jungen Prinzen?“, beharrte er.

„Ich wünsche nicht, dass Sie so mit mir reden. Ist nicht schon alles schwierig genug?“

„Schwierigkeiten haben Sie durch mich, liebe Freundin. Werden Sie denn überhaupt noch zu Gesellschaften im fürstlichen Hause eingeladen?“

„Nicht mehr so oft“, musste sie zugeben.

„Sehen Sie?“, fuhr er fort. „Man klatscht über uns beide.“

Sie stellte sich vor Theodor und hielt seine Hände.

„Darüber gräme ich mich überhaupt nicht“, sagte sie lauter als sonst. „Meinen Sie, es macht mir Freude mit Menschen zusammen zu sein, bei denen ich nicht einmal denken darf, wovon ich überzeugt bin? Muss ich denn an Orten sein, wo ich nicht sagen kann, was ich denke? Ich bin nicht mehr das sanfte, nachgiebige Geschöpf.“

...

©Renate Hupfeld

 

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