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Eine historische Erzählung
In den Jahren 1845 bis 1852 entwickelt sich
Malwida von Meysenbug, Tochter aus aristokratischem Hause, zu einer überzeugten
Demokratin und entschiedenen Kämpferin für die Gleichstellung der Frau. In
Detmold entdeckt sie ihre Liebe zu dem sechs Jahre jüngeren Theodor Althaus, der
sie auch nach seinem frühen Tod treu bleibt. Nach dem Scheitern der deutschen
Revolution 1848/49 steht sie zu ihren Überzeugungen und nimmt die bittere
Konsequenz in Kauf. Sieben Jahre im Leben einer bemerkenswerten Frau.
Inhalt
I. Mai 1845 – Abschied von
Südfrankreich
Provençalische Leichtigkeit
Frühstück mit Caroline
Ausflug zum Burgberg in Hyères
Salonabend am Place des Palmiers
Rückreise durch das Durancetal
Pfingstsonntag auf der Passhöhe
zum Col Bayard
La Grande Chartreuse
Abendstimmung am Lac du Bourget
II. 1846 – Pfingstwanderung zum Hermannsdenkmal
III. 1847 – Detmold und Homburg
im Taunus
IV.1848 – Revolution in
Deutschland
Testament des Vaters
Märzereignisse in Frankfurt
Gesprächskreis im Detmolder
Pfarrhaus
Auszeit bei Anna Koppe in Berlin
V.
1849 – Reise nach Ostende
VI. 1850/51– Hochschule für Frauen
in Hamburg
VII. 1852 – Berlin
Besuch von William
Friedhof der Gefallenen des 18.
März 1848
Gespräch im Salon
Unter den Linden
Hausdurchsuchung in der
Kochstraße
Verhör im Polizeipräsidium
Annas Sorge und Malwidas Flucht
Leseprobe:
William stand am Fenster und schaute
hinaus auf die Straße. Als er Malwida bemerkte, drehte er sich um und kam ihr
mit ausgestreckten Armen entgegen.
"Wie schön, dich wieder zu sehen, kleine Schwester“, begrüßte er sie lachend.
„Die Freude ist ganz meinerseits, lieber Bruder. Setzen wir uns.“ Sie löste ihre
Hände aus den seinen und deutete auf die Sitzecke am Fenster.
Als sie sich niedergelassen hatten, er im Sessel, sie im Sofa gegenüber, musste
sie ihren Bruder immerzu anschauen. Hatte sie ihn doch seit einigen Jahren nicht
mehr gesehen. Wie ähnlich er dem Vater geworden war. Ein stattlicher Mann. Mit
unerschütterlichen Grundsätzen. Daran hatte sich wahrscheinlich nichts
geändert. Da war immer noch diese Entschlossenheit in seinem Blick. Schon als
kleiner Junge hatte er etwas Höheres angestrebt.
"Malwida“, begann er zögernd. „Ich muss mit dir reden.“
"Dazu bist du ja wohl hier.“
"Nicht nur als Bruder bin ich gekommen.“
Ahnte sie es doch. Sie dachte an die heftige Auseinandersetzung nach dem Tod des
Vaters. Ihr war aber nicht nach Streit. Auf keinen Fall würde sie sich von ihm
einschüchtern lassen. Er musste einsehen, dass sie nicht nur älter, sondern auch
selbstsicherer geworden war.
„Fahre nur fort“, ermunterte sie.
„Das Thema wird dir nicht gefallen.“
„Nur zu.“
„Nachdem dein Versuch, dich auf eigene Beine zu stellen, nicht gelungen ist,
sehe ich die Notwendigkeit, über deine Zukunft nachzudenken“, begann er.
„Das kann doch wohl das Thema nicht sein“, sagte Malwida in ruhigem Ton.
„Seinerzeit haben wir dir erlaubt, nach Hamburg zu gehen. Aber diese Schule ist
ja nun aufgelöst. Wegen politischer Umtriebe übrigens.“
Malwida spürte eine Welle von Zorn in sich
hochsteigen.
„Lass uns das Gespräch beenden, William. Ich sehe, es hat keinen Sinn.“
Inzwischen hatte der Koppesche Diener den Tee gebracht. Wilhelm rührte ausgiebig
in seiner Tasse herum.
„So einfach kannst du es dir nicht machen. Als Teil einer Familie, deren Männer,
von Gott bestimmt, am Aufbau unserer Lebensgrundlagen mitgewirkt haben und es
weiterhin mit großem Erfolg tun, hast du eine Verantwortung. Dieser
Verantwortung kannst du dich nicht entziehen.“
„Wofür ich verantwortlich bin, sagen mir meine Überzeugungen“, antwortete
Malwida ein wenig schnippisch.
„Genau das ist der Punkt. Du siehst das völlig falsch. Überzeugungen zu haben
ist nicht Sache von Frauen, schon gar nicht in Bereichen, die den Männern
vorbehalten sind. Hat man dich nicht schon als kleines Mädchen weibliche Demut
gelehrt? Und so dumm bist du doch nicht, um zu begreifen.“
„Das hat doch keinen Sinn, William, schweige lieber.“
„Nein, nein“, beharrte er. „Wenn du dich zur Gefährtin derer machst, die nichts
anderes im Sinn haben, als unsere Welt aus den Angeln zu heben, also das Chaos
zu schaffen, sehe ich es als meine Pflicht, dich zu deiner wahren Bestimmung
zurückzuführen.“
„Es reicht jetzt! Schluss damit!“ Sie schaute ihn böse an.
„Mir liegt es völlig fern, dich zu bevormunden, Malwida. Doch darf ich dir nicht
verschweigen, dass unsere Mutter mir in einem Brief von dem Kummer berichtet
hat, den du ihr seit Jahren bereitest.“
„Lass unsere Mutter aus dem Spiel. Ich liebe sie von ganzem Herzen und habe ihr
bereits vieles geopfert. Sehr vieles. Nur eins kann und will ich nicht opfern,
meine Überzeugungen. Sie gehören mir, nur mir allein.“ Unwillkürlich füllten
sich ihre Augen mit Tränen.
„Papperlapapp. Kurz und gut. Was tust du hier in Berlin? Du gehörst, wie jede
Frau, in die Familie. Dein Platz ist an der Seite unserer armen Mutter in
Detmold und nirgendwo anders. Auch dir ist es doch wohl nicht entgangen, dass du
gescheitert bist. Kläglich gescheitert. Und wer hat dir diese bösen Gedanken
eingeflößt? Wem hast du dieses ganze Elend zu verdanken? Deinem teuflischen
Verführer. Wärest du ihm doch niemals begegnet.“
„Theodor?“ Nach diesem Stich in das Innerste ihres Herzens bekam ihre Stimme
einen schrillen Ton. „So sprichst du nicht von Theodor. Das verbiete ich dir.“
Von Weinkrämpfen geschüttelt sank sie in sich zusammen.
„Beruhige dich doch“, sagte Wilhelm, indem er aufsprang, um zu ihr zu gelangen.
„Fass mich nicht an“, schrie sie. „Lass mich allein.“
Mit sorgenvoller Miene schaute er auf sie herab.
„Du bist krank, Malwida. Das erklärt deine Irrwege. Kein Wunder, dass du so
neben dir stehst. Ich helfe dir aus deiner Misere heraus. Du erreichst mich im
Ministerium.“
„Niemals werde ich nach dir rufen“, schluchzte sie. „Ich finde meinen Weg auch
ohne euch.“
Bevor er den Salon verließ, drehte er sich noch einmal um.
„Dein Starrsinn wird dich noch vollends in den Ruin treiben. Überlege dir gut,
was du tust, bevor es zu spät ist.“ |
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