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Leseprobe:

 

Renate Hupfeld

(Zerbrochene) Rebellen

Begegnung zwischen Christian Friedrich Daniel Schubart und Friedrich Schiller an einem Spätsommertag des Jahres 1782 auf der Festung Hohenasperg

Nachdem der Wachsoldat die schwere Eisentür geöffnet hatte, erhob sich Schubart von seinem Lager und schlurfte leicht taumelnd zum Ausgang. Dann stand er auf dem Hof der Festung und blinzelte in das grelle Sonnenlicht. Die Kinder hatten bei seinem Anblick ihr ausgelassenes Spiel unterbrochen und beobachteten ihn aus einiger Entfernung. Kein Wunder, dass sie Angst vor ihm hatten, fühlte er sich doch selbst wie ein Ungeheuer, seitdem er hier gefangen gehalten wurde.

Er wankte über den Platz und blieb einen Moment lang im Schatten der alten Linde stehen, die Beine machten ihm zu schaffen. Es zog ihn um das Kasernengebäude herum auf den Wall. Dort würde er ungestört sein, hinter dem Turm mit dem Kerkerloch, seinem ersten Domizil hier auf dem Asperg, wo sie ihn weggesperrt hatten wie ein Stück Vieh im Käfig. Sechs Schritte hin, sechs Schritte zurück, Stunde um Stunde, dreihundertsiebenundsiebzig Tage und Nächte in Dunkelheit und modrig faulem Gestank. Gefangner Mann, ein armer Mann.

Doch immer noch war er nicht tief genug gefallen und musste dieses verpfuschte Leben weiter ertragen. Keuchend stieg er die Treppe hinauf auf das Plateau. Von hier aus ging der Blick auf grüne Weinfelder und idyllische Ortschaften. Freiheit, doch nicht für ihn. Er beugte sich über die Brüstung, tief hinunter ging es da. Könnte er sich doch einfach fallen lassen in diesen Abgrund, dann hätte er Erlösung für die Ewigkeit. Worauf wartete er? ‚Los, Schubart. Sei doch noch einmal mutig, ein allerletztes Mal’.

Nein, selbst dazu war er zu schwach. Helene und die Kinder kamen ihm in den Sinn. Irgendwo dort hinter dem Horizont warteten sie auf seine Freilassung, den fünften Sommer jetzt schon. Er konnte es sich immer noch nicht verzeihen, dass er trotz Helenes böser Vorahnungen leichtsinnig dem teuflischen Despoten in die Falle gegangen war. Wie hatte seine Frau ihn beschworen in der letzten gemeinsamen Nacht.

‚Ich weiß nicht, wie mir ist, Christian. Fahr nicht mit dem Amtmann nach Blaubeuren. Bleib in Ulm’.

Er setzte sich auf eine Mauer und wünschte, er könnte die Zeit zurückdrehen, Helene würde neben ihm sitzen und er könnte den Kopf an ihre Schulter legen. Hätte er nur dieses eine Mal auf sie gehört! Alles zu spät.

„Ich weiß nicht, wie mir ist, Helene“, schluchzte er und Tränen rieselten in seinen Bart.

 

Als er eine Weile so gesessen und vor sich hingebrütet hatte, hörte er Schritte. Ein großgewachsener Jüngling stapfte den Hügel hinauf und kam auf ihn zu. Seine Haare glänzten rötlichgolden im Sonnenschein. Schubart erkannte gleich das herzerfrischende Lächeln des Regimentsmedikus, Verfasser der Räuber, mittlerweile bekannt bin in den letzten Winkel.

„Schiller“, rief er. „Das ist eine Überraschung. Ist Er den langen Weg von Stuttgart hierher gewandert?“

Der junge Mann setzte sich neben ihn auf die Mauer und wischte sich mit dem Hemdärmel den Schweiß von der Stirn.

„Da staunt Er, was? Von der Wache habe ich erfahren, dass Er sich am Belvedere aufhält, einen wirklich schönen Ausblick hat Er hier.“

„Aber keine Freude.“ Schubarts Stimme klang rau.

„Er sieht jetzt besser aus, als bei meinem Besuch im November. Nicht mehr gar so grau im Gesicht“, fuhr Schiller fort.

„Er will mir nur schmeicheln. Aber Er weiß ja nicht, wie einem Ausgestoßenen zu Mute ist. Ein kranker Mann bin ich. Zu schwach zum Leben, zu schwach zum Sterben. Und Er? Man hört einiges Gemunkel.“ Fragend schaute Schubart den jungen Dichter an.

„Er hat richtig gehört. Der Herzog hat mir verboten, künftig etwas ohne seine allerhöchsteigenhändige Zensur drucken zu lassen. Dass ich ohne Urlaub in Mannheim zur Aufführung der Räuber war, ist ihm verraten worden, die Weiber können’s Maul nicht halten.“

„Schreiben darf Er aber noch?“

„Er schreibt keine Komödien mehr, hat Serenissimus gedroht. Andernfalls lass ich Ihn auf die Festung setzen und Seinen Vater lass ich vom Brot bringen.“

„Und was will Er jetzt tun?“

„Nun, in der Pfalz habe ich dergleichen nicht zu fürchten.“

„Was will Er denn damit sagen?“

„Er muss nur verschwiegen sein.“

„Aber Schiller.“

„Nun, da ist meine Bekanntschaft mit Dalberg. Ich habe Aussicht, Theaterdichter in Mannheim zu werden.“

„Hofpoet. Dann könnte der fürstliche Landesvater Ihn ja entlehnen wie den italienischen Hofpoeten kürzlich, eine Menge Gulden hat er dafür gezahlt. Nur, dazu müsste Er nicht Schiller heißen, sondern Schilleri oder noch besser Schillerieri.“

„Und französisch parlieren, nicht etwa deutsch wie ‚deutlich’“, fiel Schiller ein. „Aber Scherz beiseite, mit dem Herzog ist nicht zu spaßen.“

„Selbst im Ausland ist Er vor nicht sicher vor Verfolgung. Schau Er mich an.“

„Ach, Schubart, ich schau Ihn ja schon die ganze Zeit an. Das Unrecht hier auf dem Asperg muss ein Ende haben. Seine Chronik, Er hat doch nur die Wahrheit gesagt. Ein Meister des Wortes ist Er und hier eingekerkert und mundtot gemacht. Alles gewagt hat Er. Sieh Er hier.“ Schiller zog ein gedrucktes Schriftstück aus der Hemdtasche. Dann rezitierte er weit ausholend mit großem Pathos in die liebliche Landschaft hinaus.

Da liegen sie, die stolzen Fürstentrümmer …“

Die Fürstengruft“, winkte Schubart ab. „Nichts als Ärger hat’s gebracht. Alles gewagt, alles verloren.“

„Fürstentrümmer“, wiederholte Schiller mit Nachdruck. „Ich trage sie überall bei mir. Der Tyrann in seiner Gruft. Nicht nur Er hat diese Vision. Im ganzen Lande schätzt man seine Verse, nur die Obrigkeit nicht. Das menschliche Herz muss siegen.“

Das menschliche Herz. Eine Weile hingen beide Männer ihren Gedanken nach, bis der Gefangene unruhig wurde. Ein Wachsoldat war auf den Wall gekommen und schaute in die Ferne. Mit zitternden Händen zog Schubart eine silberne Taschenuhr aus der Rocktasche und hielt sie sich vor die Augen.

„Die Zeit ist um, lieber Freund, ich muss zurück hinter Schloss und Riegel.“

Schiller reichte dem Älteren die Hand und half ihm beim Abstieg auf den Festungswall. Langsam gingen sie im Schatten der hohen Mauern hinunter zum Tor.

„Ich hoffe, dass ich Ihn recht bald wiedersehe, Schubart. Aber in Freiheit. Wenn ich erst in Mannheim bin, sorge ich dafür, dass Er frei kommt.“ Das klang sehr zuversichtlich aus dem Munde des jungen Stürmers.

„Am besten schickt Er eine ganze Räuberbande auf den Asperg herauf.“ Schubart lachte bitter. „Nein, nein, Schiller. Sieh Er erst einmal selber zu, dass Er seine Haut rettet. Noch hat er Träume.“

Lange hielten sie sich in den Armen, bis Friedrich Schiller sich abwandte und mit festen Schritten die Festung verließ.

(Die kursiv formatierten Textstellen sind Zitate aus Gedichten von Christian Friedrich Daniel Schubart: Kaplied, Der Gefangene, Frage, Die Fürstengruft)