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Endlich, an einem sonnigen Nachmittag,
konnte sie wieder mit ihm auf den Marktplatz gehen. Weil der Junge zu
schwach zum Laufen war, trug sie ihn auf dem Arm. Beim Wirtshaus wurden
gerade Fässer von einem Pferdewagen abgeladen und ein Bursche brachte auf
einem zweirädrigen Karren Säcke in die Backstube vom Bäcker Hirsch. Am
Brunnen kreischten Kinder und hatten Spaß. Eines trieb einen Reifen vor sich
her und ein anderes ritt auf seinem Steckenpferd immer wieder um das
Wasserbecken herum.
„Schau, Peterle, sie spielen."
Das Kind hob nur schwach den Kopf.
Ach, was sollte sie hier? So viele Leute, aber da war niemand, der sie
beachtete, kein Mensch, mit dem sie reden konnte. Und dann noch dieses
armselige Häufchen auf dem Arm, sie mochte das Jammerbild schon gar nicht
mehr ansehen, sah sie doch nur ihr eigenes Elend in seinem blassen Gesicht.
"Eigentlich bist du ja ein armer Tropf“, sagte sie. „Du bist nicht Schuld.“
Als sie ihm über den Kopf strich, schaute er sie mit großen Augen an und
lächelte.
Da spürte sie plötzlich, dass sie ihn gern hatte.
„Weißt du, Peterle, wir passen zusammen wie Pflänzchen, die niemand gießt.“
Sie nahm seine Hand.
„Wir haben uns gefunden, wir zwei.“
Im Schatten der Kirche war die Werkstatt des Glasbläsers. Apollonia blieb
stehen und schaute durch das geöffnete Fenster hinein. Diesem jungen Meister
hatte sie schon oft bei der Arbeit zugesehen. Sie wartete auf den Moment, in
dem er mit sicherer Hand einen rot glühenden Riesentropfen aus dem großen
Steinofen holte. Dabei konnte sie jedes Mal ganz kurz seine Augen sehen.
Dann beobachtete sie, wie sich seine Wangen blähten und aus dem zähflüssigen
Klumpen langsam eine gläserne Kugel wurde. Darin sah sie sich selbst mit
Peterle auf dem Arm. Beim langen Hinschauen wurde das Bild immer größer und
plötzlich löste es sich und bewegte sich langsam hinaus. Als es an ihr
vorbei schwebte, schaute sie ihm nach, zum Kirchturm hoch und sah einen
goldenen Engel auf seinem Weg in den strahlend blauen Himmel.
„Magst du auch fliegen, Peterle?“
*
Giftmischer? Tränklein? Schwarzer Kasten?
Was meinten die Männer?
Der Bursche mit dem hellblauen Wams klopfte mit der Faust auf den Tisch.
„Die gestrengen Herren im Rat können alles verbieten, was sie wollen,
Rattengift oder Mausgift, hält sich ja doch kein Apotheker an das Verbot.
Ich geh zum Einhorn und für einen Kreuzer krieg ich, was ich brauch“,
brüllte er großspurig.
Einhorn? Apollonia fühlte an ihren Rockbund. Ein Kreuzer. Den hatte sie im
Beutel.
„Mädel, ist dir nicht gut?“, fragte die Lindenwirtin, als sie mit der
Flasche roten Wein aus dem Keller kam. „Du siehst so seltsam aus, so weiß,
und die Augen. Wo schaust du denn hin?“
"Nein, nein, es ist nichts …“, antwortete Apollonia schnell, nahm die
Flasche, eilte hinaus und lief sie über den Marktplatz. ’Du musst es tun, du
musst, musst …’, forderte eine Stimme in ihrem Ohr. Sie stürmte in die
Apotheke.
„Meine Herrschaft schickt mich. Für einen Kreuzer Mausgift“, sagte sie
drängend. Der Apotheker blieb arglos und schöpfte mit einem Hornlöffel
weißes Pulver aus einem Keramikgefäß.
„Hier hinein.“ Apollonia legte ein kleines Leinentuch auf den Tisch. Der
Mann ahnte nicht, welches Verhängnis er auslöste, als er den Löffel auf dem
Tuch ausleerte.
Außer Atem erreichte Appolonia die Kanzleigasse. Die Flasche stellte sie in
der Küche ab, nahm einen Zinnbecher vom Bord und füllte ihn mit Milch. Rasch
schüttete sie das Pulver hinein und lief in die Kammer zu dem kranken Buben.
Der wartete schon auf sie und lächelte schwach.
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