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Lit.Cologne 2010 –
„Fräulein Hallo und der Bauernkaiser“ ohne Liao Yiwu
Renate Hupfeld
Eigentlich hätte
Liao Yiwu am Abend des 19. März 2010 in der Kulturkirche in Köln Nippes aus
seinem Buch „Fräulein Hallo und der Bauernkaiser“ lesen sollen. Die
Organisatoren der Lit.Cologne hatten alles gut vorbereitet und Liao Yiwu
hatte alles getan, was er konnte, doch die Regierenden in China ließen ihn
nicht ausreisen. Dennoch hatten sich zahlreiche Besucher eingefunden, die
sich allein durch ihre Anwesenheit solidarisch zeigten mit dem chinesischen
Schriftsteller, der vor mehr als zwanzig Jahren auf Grund eines Textes über
die blutige Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Platz des
himmlischen Friedens in Peking am 4. Juni 1989 in Ungnade gefallen war.
Wegen der Publikation seines Gedichtes „Massaker“ hatte er eine
vierjährige Gefängnisstrafe zu verbüßen.
Es war sehr bewegend, als Tienchi Martin-Liao seinen Brief „An meine
deutschen Leser“ vorlas, während im Hintergrund eine auf der Xiao Flöte
gespielte Melodie zu hören war. "Ich habe getan, was ich konnte, es tut
mir sehr leid. Ich werde wieder nicht nach Deutschland kommen können, ich
werde bei den für mich geplanten Lesungen bei der Lit.Cologne nicht dabei
sein können. Ich bin müde an Leib und Seele, aber ich möchte mich doch bei
Ihnen allen bedanken. Dafür schicke ich ihnen allen eine Aufnahme meiner
Lieder und meines Flötenspiels…“, so beginnt Liao Yiwus Brief. Er
schreibt, dass er trotz der schwierigen Situation nicht aufhören könne zu
schreiben, aufzuzeichnen und weiterzugeben. Und er schreibt, wie er im
Gefängnis durch das Flötenspiel eines 84 Jahre alten Mönchs von seinem Elend
abgelenkt wurde und wie er von ihm lernte, auf der Xiao zu spielen. „…
Zunächst fühlst du nur eine rätselhafte Traurigkeit, dann nur noch
Betäubung. Spiel weiter, spiel weiter - denn wer wäre, im Grunde genommen,
nicht traurig im Gefängnis?...“.
Der Schauspieler Ralf Harster las zwei von neunundzwanzig Geschichten aus
„Fräulein Hallo und der Bauernkaiser. Chinas Gesellschaft von unten“,
literarisch bearbeitete Gespräche mit Menschen vom „Bodensatz der
Gesellschaft“, „Der Klomann“ und „Der Leprakranke“.
Weiterhin las Harster einige Gedichte, die in ihrer Ausdrucksstärke
eigenartig berührten.
Von Moderator Roger Willemsen nach dem literarischen Wert der Texte von Liao
Yiwu befragt, sprach der in Köln lebende Journalist Shi Ming von einem Trend
in der chinesischen Literatur, der sich wegbewegt vom „geschliffenen Text“
hin zur „Oral History“, basierend auf Erzählungen und Berichten von
Zeitzeugen. Liaos Buch sei ein Beispiel dafür. Warum gerade Liao Yiwu so
beharrlich an der Ausreise gehindert werde, andere kritische Autoren jedoch
ausreisen dürfen, konnte Monika Lüke von Amnesty International sich auch
nicht erklären, offizielle Begründungen gäbe es nicht.
Während der knapp zwei Stunden in der vollbesetzten Kulturkirche in Köln
Nippes stand keineswegs der politische Aspekt im Mittelpunkt, sondern Liao
Yiwu als Schriftsteller, Dichter und Künstler. Es war offensichtlich, dass
sein Werk auf großes Interesse stößt, weil es in einzigartiger Weise
Einblicke in den Alltag der Menschen seines Landes gibt. Wem sollte das
schaden? Und wem hätte es geschadet, wenn der Autor persönlich anwesend
gewesen wäre? Es ist zu hoffen, dass Liao Yiwu im nächsten Jahr bei der
Lit.Cologne aus seinem neuen Buch lesen wird, in dem er die Erlebnisse
seiner Gefängnisjahre literarisch bearbeitet hat. Die Einladung der
Veranstalter steht jedenfalls, so hieß es.
©Renate Hupfeld
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