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Es war noch ruhig auf der Hornschen Straße, kein Mensch zu sehen. Theodor würde über die Leopoldstraße kommen. Doch es war noch früh. Malwida nutzte die Zeit und schlug ihr Reisebuch auf. So nannte sie das Skizzenbuch jetzt. Auch ein Jahr nach der Rückkehr aus der Provence war es noch immer ihr bester Freund. Erinnerungen an Monsieur Hugo am Place de Palmiers, die bescheidene Fischerfamilie und deren glückliches Leben, die einsam verträumte Abendstunde am Lac du Bourget und die zwei Bäume im Wind am Rande der Passstraße zum Col Bayard, ein kleiner und ein großer, nachträglich vorsichtig koloriert in warmen Grüntönen vor schneebedeckten Berggipfeln. Wie Morgenstern es sie gelehrt hatte, zum Hintergrund hin heller werdend, um Tiefenwirkung zu erzielen. Sie wusste selbst nicht, ob ihr das gelungen war, doch dieses Bild gefiel ihr von allen am besten, weil es sie daran erinnerte, was sie dem großen Weltgeist auf dem Weg zur Passhöhe gelobt hatte. Den unbequemen Weg wollte sie gehen, der zur Wahrheit führte. Wie seltsam, dass sie das Bild gerade jetzt vor sich hatte, gezeichnet am Pfingstfest vor einem Jahr. Zwei Bäume im eisigen Wind warten auf den Frühling.
Endlich war es so weit. Zusammen mit Schwester und Bruder bog ihr Apostel um die Ecke und schaute gleich hoch zu ihrem Fenster. Sie winkte hinaus und lief die Treppe hinunter. Das schwere Eichenportal schloss sie so leise wie möglich, damit niemand geweckt würde.  Theodor kam ihr schon entgegen. Sie reichte ihm die Hände und ein Blick in seine Augen sagte, er hatte sie noch lieb. In stiller Übereinkunft gingen sie entlang des Wassergrabens durch die Allee, am Palaisgarten vorbei, bis sie die Wiesen vor der Stadt erreichten. Dann durchquerten sie die Felder und wanderten zwischen jungen Birken und Kiefern, bis sie den Pfad im Wald erreichten, der hinauf führte zum Denkmal auf der Grotenburg. Elisabeth und Friedrich gingen  voraus, so dass sie nach einer Wegbiegung gar nicht mehr zu sehen waren.
Angenehm war es hier im Schatten zwischen den schlanken Buchenstämmen, umgeben vom hellen Grün der frischen Blätter. Als sich ihre Hände berührten und seine Finger sanft die ihren umschlossen, fühlte sie sich glücklich wie lange nicht mehr. Ihr Traum am Lac du Bourget war Wirklichkeit in dem Moment. Lass mich mit ihm weiter gehen, immer weiter diesen Weg, lass es nie zu Ende sein, wünschte sie insgeheim.
„Elisabeth und Friedrich sind gar nicht mehr zu sehen“, sagte er und da war der Traum auch schon wieder zu Ende geträumt. Überall wurden sie beobachtet, nie waren sie allein.
„Wir werden sie bald einholen.“
„Ist Ihre Frau Mutter wohlauf, Malwida?“
Was sollte sie ihm antworten? Die Mutter würde ihr am liebsten verbieten, ihn zu sehen. Sollte sie ihm das sagen?
„Ach, Theodor“, seufzte sie. „Mutter sorgt sich sehr um den Vater. Er zieht immer noch durch die hessischen Lande mit dem alten Kurfürsten, während sein Sohn in Kassel die Regierungsgeschäfte wahrnimmt. Er kommt nicht zur Ruhe und der Vater auch nicht. Dabei sind sie doch auch nicht mehr die Jüngsten. Die Eltern sehnen die guten Kasseler Jahre zurück.“
„Besser wird es nicht, Malwida.“
Wie sanft seine Stimme klang. Sie sah zu ihm hoch. Nein, sie konnte nicht von ihm lassen. Die blauen Augen und das klare Profil. Er war nicht nur ein schöner Mann, er war ein ganz besonderer Mann. Sie liebte ihn, dachte an die vielen Stunden in kleinen Kreisen, in denen sie sich in so vielen Gedanken einig waren. Seine Ideen waren ihre Ideen und umgekehrt.
„Wie sich auch für uns die Zeiten verändert haben.“
„Die Luft ist kalt geworden“, antwortete er und sie dachte an die zwei Bäume im eisigen Wind auf dem Weg zur Passhöhe, den großen und den kleinen.
„Seitdem man Sie aus der Ressource ausgeschlossen hat, ist es noch frostiger um uns herum.“
„Hach, der Leseverein.“ Er lachte bitter. „Dabei sollte der Saal im Rathaus doch für jedermann sein, so steht es in den Statuten. Da sehen Sie die Heuchelei, liebe Freundin. Nur Leute ohne eigene Meinung dürfen da hinein.“
„Es sei denn, sie sagen sie nicht.“ Malwida spürte Zorn aufsteigen. „Dabei haben Sie in Ihrem Artikel zum Fürstenjubiläum nur gesagt, was viele denken. Das Volksfest hatte diesen Namen nie und nimmer verdient. Das Volk war nur Staffage, wie sie es geschrieben haben. So viel Geld für ein Feuerwerk. Wie vielen Armen hätte man damit helfen können? Und das Theater verschlingt viel zu viel Geld. Sie haben nur die Wahrheit geschrieben. Frank und frei.“
„Wie können Sie so reden, Fräulein von Meysenbug? Was sagt Ihr Bruder dazu und Ihr Schwager, der Intendant? Sind die doch in herausragender Stellung am Hofe.“
Den Zynismus in seinem Ton konnte sie nur schwer ertragen. Dabei sagte er auch ihr nur, was er dachte. Sollte sie ihm erzählen, dass Bruder Carl und Schwager Funck ihn einen durch und durch unmoralischen Menschern nannten, ihr ständig Vorwürfe machten und spotteten, wie sie sich so herablassen könne und sich mit einem Demokraten einlassen? Er würde es klar ausdrücken, aber ihre Art war es nicht, fürchtete sie doch zu sehr, jemandem Unrecht zu tun. Doch wenn sie recht überlegte, taten die beiden Männer doch nicht nur Theodor Unrecht, sondern auch ihr, indem sie vorschrieben, wen sie lieben sollte oder nicht lieben durfte.

 

 
         
         
         
         
         
         

 

 

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