|
Beam:
http://www.beam-ebooks.de/ebook/33883
E-Book
bei Amazon:
http://amzn.to/M1emLo
|
|
Es war noch ruhig auf der Hornschen Straße, kein
Mensch zu sehen. Theodor würde über die Leopoldstraße kommen. Doch es
war noch früh. Malwida nutzte die Zeit und schlug ihr Reisebuch auf. So
nannte sie das Skizzenbuch jetzt. Auch ein Jahr nach der Rückkehr aus
der Provence war es noch immer ihr bester Freund. Erinnerungen an
Monsieur Hugo am Place de Palmiers, die bescheidene Fischerfamilie und
deren glückliches Leben, die einsam verträumte Abendstunde am Lac du
Bourget und die zwei Bäume im Wind am Rande der Passstraße zum Col
Bayard, ein kleiner und ein großer, nachträglich vorsichtig koloriert in
warmen Grüntönen vor schneebedeckten Berggipfeln. Wie Morgenstern es sie
gelehrt hatte, zum Hintergrund hin heller werdend, um Tiefenwirkung zu
erzielen. Sie wusste selbst nicht, ob ihr das gelungen war, doch dieses
Bild gefiel ihr von allen am besten, weil es sie daran erinnerte, was
sie dem großen Weltgeist auf dem Weg zur Passhöhe gelobt hatte. Den
unbequemen Weg wollte sie gehen, der zur Wahrheit führte. Wie seltsam,
dass sie das Bild gerade jetzt vor sich hatte, gezeichnet am Pfingstfest
vor einem Jahr. Zwei Bäume im eisigen Wind warten auf den Frühling.
Endlich war es so weit. Zusammen mit Schwester und Bruder bog ihr
Apostel um die Ecke und schaute gleich hoch zu ihrem Fenster. Sie winkte
hinaus und lief die Treppe hinunter. Das schwere Eichenportal schloss
sie so leise wie möglich, damit niemand geweckt würde. Theodor kam ihr
schon entgegen. Sie reichte ihm die Hände und ein Blick in seine Augen
sagte, er hatte sie noch lieb. In stiller Übereinkunft gingen sie
entlang des Wassergrabens durch die Allee, am Palaisgarten vorbei, bis
sie die Wiesen vor der Stadt erreichten. Dann durchquerten sie die
Felder und wanderten zwischen jungen Birken und Kiefern, bis sie den
Pfad im Wald erreichten, der hinauf führte zum Denkmal auf der
Grotenburg. Elisabeth und Friedrich gingen voraus, so dass sie nach
einer Wegbiegung gar nicht mehr zu sehen waren.
Angenehm war es hier im Schatten zwischen den schlanken Buchenstämmen,
umgeben vom hellen Grün der frischen Blätter. Als sich ihre Hände
berührten und seine Finger sanft die ihren umschlossen, fühlte sie sich
glücklich wie lange nicht mehr. Ihr Traum am Lac du Bourget war
Wirklichkeit in dem Moment. Lass mich mit ihm weiter gehen, immer weiter
diesen Weg, lass es nie zu Ende sein, wünschte sie insgeheim.
„Elisabeth und Friedrich sind gar nicht mehr zu sehen“, sagte er und da
war der Traum auch schon wieder zu Ende geträumt. Überall wurden sie
beobachtet, nie waren sie allein.
„Wir werden sie bald einholen.“
„Ist Ihre Frau Mutter wohlauf, Malwida?“
Was sollte sie ihm antworten? Die Mutter würde ihr am liebsten
verbieten, ihn zu sehen. Sollte sie ihm das sagen?
„Ach, Theodor“, seufzte sie. „Mutter sorgt sich sehr um den Vater. Er
zieht immer noch durch die hessischen Lande mit dem alten Kurfürsten,
während sein Sohn in Kassel die Regierungsgeschäfte wahrnimmt. Er kommt
nicht zur Ruhe und der Vater auch nicht. Dabei sind sie doch auch nicht
mehr die Jüngsten. Die Eltern sehnen die guten Kasseler Jahre zurück.“
„Besser wird es nicht, Malwida.“
Wie sanft seine Stimme klang. Sie sah zu ihm hoch. Nein, sie konnte
nicht von ihm lassen. Die blauen Augen und das klare Profil. Er war
nicht nur ein schöner Mann, er war ein ganz besonderer Mann. Sie liebte
ihn, dachte an die vielen Stunden in kleinen Kreisen, in denen sie sich
in so vielen Gedanken einig waren. Seine Ideen waren ihre Ideen und
umgekehrt.
„Wie sich auch für uns die Zeiten verändert haben.“
„Die Luft ist kalt geworden“, antwortete er und sie dachte an die zwei
Bäume im eisigen Wind auf dem Weg zur Passhöhe, den großen und den
kleinen.
„Seitdem man Sie aus der Ressource ausgeschlossen hat, ist es noch
frostiger um uns herum.“
„Hach, der Leseverein.“ Er lachte bitter. „Dabei sollte der Saal im
Rathaus doch für jedermann sein, so steht es in den Statuten. Da sehen
Sie die Heuchelei, liebe Freundin. Nur Leute ohne eigene Meinung dürfen
da hinein.“
„Es sei denn, sie sagen sie nicht.“ Malwida spürte Zorn aufsteigen.
„Dabei haben Sie in Ihrem Artikel zum Fürstenjubiläum nur gesagt, was
viele denken. Das Volksfest hatte diesen Namen nie und nimmer verdient.
Das Volk war nur Staffage, wie sie es geschrieben haben. So viel Geld
für ein Feuerwerk. Wie vielen Armen hätte man damit helfen können? Und
das Theater verschlingt viel zu viel Geld. Sie haben nur die Wahrheit
geschrieben. Frank und frei.“
„Wie können Sie so reden, Fräulein von Meysenbug? Was sagt Ihr Bruder
dazu und Ihr Schwager, der Intendant? Sind die doch in herausragender
Stellung am Hofe.“
Den Zynismus in seinem Ton konnte sie nur schwer ertragen. Dabei sagte
er auch ihr nur, was er dachte. Sollte sie ihm erzählen, dass Bruder
Carl und Schwager Funck ihn einen durch und durch unmoralischen
Menschern nannten, ihr ständig Vorwürfe machten und spotteten, wie sie
sich so herablassen könne und sich mit einem Demokraten einlassen? Er
würde es klar ausdrücken, aber ihre Art war es nicht, fürchtete sie doch
zu sehr, jemandem Unrecht zu tun. Doch wenn sie recht überlegte, taten
die beiden Männer doch nicht nur Theodor Unrecht, sondern auch ihr,
indem sie vorschrieben, wen sie lieben sollte oder nicht lieben durfte.
|
|